Räuische Kurie. August 4.— September 26.) 1007
Die schönsten Gegenden Europas, dieses Gartens der Welt, sind mit Leichen
und Ruinen übersät. Ihr, die Ihr vor Gott und Menschen die furchtbare
VBerantwortung für Frieden und RKrieg tragt, hört auf unsere Bitten, auf
die väterliche Stimme des Stellvertreters des ewigen und höchsten Richters,
Ihr, die Ihr über Euere öffentlichen Unternehmen und Euere private
Tatigkeit werdet Rechenschaft geben müssen. Die überschwellenden Reichtümer,
die der Schöpfer Eueren Ländern gegeben hat, ermöglichen Euch, den
Kampf fortzusetzen, allein um welchen Preis? So fragen sich Tausende
junger Menschenleben, die jeden Tag auf den Schlachtfeldern erlöschen, so
fragen auch die Ruinen so vieler Städte und Dörfer, so vieler Denkmäler
der Ahnen. Machen nicht auch die in der Stille am häuslichen Herd und
an den Stufen der Alläre vergossenen Tränen offenbar, daß der Preis der
Verlängerung des Kampfes allzu groß ist? Und man kann nicht sagen, daß
der ungeheure Konslikt ohne Waffengewalt nicht beendigt werden könnte.
Möge man von diesem Willen zu gegenseitiger Zerstörung lassen. Be-
denke man, daß zu sehr erniedrigte- und unterdrückte Nationen das ihnen
auferlegte Joch nur knirschend ertragen und die Vergeltung vorbereiten,
indem sie eine traurige Erbschaft von Haß und Rachsucht von Geschlecht
zu Geschlecht überliefern. Weshalb soll man nicht schon jetzt mit ruhigem
Gewissen die Rechte und die gerechten Forderungen der Völker abwägen!
Warum nicht gutwillig einen direkten oder indirekten Meinungsaustausch
beginnen, um nach Möglichkeit diesen Rechten und Forderungen gerecht zu
werden und so zu einem Ende dieses schrecklichen Kampfes zu kommen, wie
das früher unter ähnlichen Umständen geschehen ist! Gesegnet sei, wer zu-
erst den Oelzweig erhebt und dem Feind die Hand und vernünftige Friedens-
bedingungen bietet! Zum Schluß heißt es: „Nach erfolgter Versöhnung
der Staaten mögen die neu verbrüderten Völker zurückkehren zu den fried-
lichen Arbeiten der Wissenschaften, der Künste, der Industrie. Mögen sie,
wenn das Reich des Rechts wiederhergestellt ist, beschließen, die Lösung
ihrer Streitfragen nicht mehr der Schneide des Schwertes anzuvertrauen,
sondern den Gründen der Gerechtigkeit und Billigkeit, die mit der er-
forderlichen Ruhe und Umsicht geprüft wurden. Das wird ihre schönste und
ruhmvollste Errungenschaft sein. In der Zuversicht, daß des Friedens
Stimmen die Welt bald mit seinen vorerwähnten Früchten erfreuen, geben
wir unseren apostol. Segen der ganzen Herde, die uns anvertraut ist, und
auch denen, die der Röm. Kirche noch nicht angehören. Wir bitten den Herrn,
sie mit uns durch die Bande einer vollkommenen Nächstenliebe zu vereinigen.
4. Aug. Der „Osservatore Romano“ hebt hervor, daß sowohl die
Kundgebung Kaiser Wilhelms wie die Botschaft Sir Edward Greys
an das amerikanische Volk eine friedlichere Sprache als früher führen.
15. Sept. Der „Oss. Rom.“ meldet, daß die deutsche Regierung dem
Papst ihren Dank aussprechen ließ für dessen Bemühungen betr. die
überführung deutscher Gefangener aus Dahomey nach Nordfrankreich.
26. Sept. Auf die von der Fuldaer Bischofskonferenz an den
Papst gerichtete Ergebenheitsadresse ist folgende Antwort an den
Kölner Kardinal-Erzbischof eingetroffen:
In dem Strudel der gegenwärtigen Weltlage, durch dessen stürmische
Gewalt die blühendsten Staaten Europas, wie wir sehen, erschüttert und
fast in ihrem Bestande bedroht werden, begreift Ihr leicht, was unser Herz
empfindet, wir, die wir Tag und Nacht vor Augen haben, wie tagtäglich
Europäischer Geschichtskalender. LVI. 61