Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

1010 Römische Kuric. (Dezember 6.) 
Die Ansprache des Papstes im Konsistorium lautet: 
Ehrwürdige Brüder! Die Schwierigkeiten, welche bisher die Ein- 
berufung des heiligen Kollegiums verhindert haben, sind Euch wohlbekannt, 
und wenn es uns nun heute endlich beschieden ist, Euch zahlreich in diesem 
edlen Kreise wiederzusehen, so kommt das nicht daher, weil die Schwierig- 
keiten abgenommen hätten, sondern weil wir befürchteten, daß eine längere 
Verzögerung zum Nachteil für den guten Fortgang der Geschäfte der 
römischen Kirche ausschlagen würde. Zahlreich sind tatsächlich die Lücken, 
die im letzten und im laufenden Jahre in den Reihen des heiligen Kol- 
legiums entstanden sind. Wenn der Papst jederzeit den Verlust so erlauchter 
Ratgeber und ihres getreuen Beistandes schmerzlich empfand, so ist das 
Bedauern darüber um so lebhafter für uns, die wir die Regierung der 
Kirche in einem der kritischsten Abschnitte der Geschichte übernehmen mußten. 
Trotz der gewaltigen Zerstörungen, die sich im Verlaufe der 16 Monate 
angehäuft haben, obwohl in den Herzen der Wunsch nach Frieden lebt, 
obgleich so viele Familien unter Tränen den Frieden erflehen, obgleich wir 
alle Mittel ergriffen haben, die geeignet sind, irgendwie den Frieden zu 
beschleunigen und die Zwietracht zu besänftigen, so sehen wir nichtsdesto- 
weniger diesen verhängnisvollen Krieg mit Wut zu Wasser und zu Lande 
toben. Anderseits ist das unglückliche Armenien vom letzten vollständigen 
Untergang bedroht. Auch das Schreiben, das wir am Jahrestage des 
Kriegsbeginns an die kriegführenden Völker und ihre Staatshäupter rich- 
teten, hat, obschon es eine durchaus achtungsvolle Aufnahme fand, doch 
nicht die wohltätigen Wirkungen erzielt, die man erwarten konnte. Als 
Statthalter dessen, der der friedliche König ist, Fürst und König des 
Friedens, können wir nicht umhin, uns immer mehr über das Unglück zu 
erregen, welches eine so große Zahl unserer Söhne betrifft, noch aufhören, 
unsere hilfeflehenden Arme zu dem Gott der Erbarmung zu erheben und 
ihn aus unserem ganzen Herzen zu beschwören, endlich durch seine Macht 
diesem blutigen Streit ein Ende zu machen. Und während wir uns, soweit 
es in unserer Macht steht, dafür verwenden, seine schmerzlichen Folgen 
durch wohlangebrachte Maßnahmen, die Ihnen gut bekannt sind, zu lindern, 
fühlen wir uns durch die Pflicht unserer apostolischen Sendung veranlaßt, 
aufs neue auf dem einzigen Mittel zu bestehen, welches schnell ein Ende 
dieses schrecklichen Weltbrandes herbeiführen könnte, um einen derartigen 
Frieden vorzubereiten, wie er von der gesamten Menschheit glühend ersehnt 
wird, das heißt, einen gerechten, dauerhaften und nicht nur für 
einen Teil der Kriegführenden Nutzen bringenden Frieden. 
Ein Weg, welcher wahrhaftig zu einem glücklichen Ergebnis führen könnte, 
ist derjenige, welcher bereits erprobt und unter ähnlichen Umständen gut 
befunden wurde, derjenige, an den wir in unserem Briefe vom letzten Juli 
erinnerten, nämlich, daß in einem direkten oder indirekten Gedanken- 
austausch mit aufrichtigem Willen und reinem Gewissen die 
Ansprüche eines jeden klargelegt und gebührend geprüft wer- 
den, unter Beseitigung der ungerechten und unmöglichen For- 
derungen, und indem man nötigenfalls durch billige Kom- 
pensationen und Abmachungen dem Rechnung trägt, was ge- 
recht und möglich ist. Es ist unbedingt notwendig, daß man von der 
einen wie von der anderen Seite in einigen Punkten nachgibt, daß man 
auf einige der erhofften Vorteile verzichtet, und jeder müßte gutwillig in 
Konzessionen einwilligen, selbst um den Preis gewisser Opfer, um nicht vor 
Gott und den Menschen die ungeheure Verantwortung für die Fortsetzung 
dieser beispiellosen Schlächterei auf sich zu nehmen, welche, wenn sie noch 
weiter andauert, für Europa wohl das Zeichen seines Herabsinkens von
	        
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