Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

1020 Schweiz. (Juni 17.) 
Die Sozialisten Ryser-Biel und Pflüger-Zürich polemisieren eben- 
falls gegen die Handhabung der Zensur, während Bühler--Bern (freif.) 
sich zu der Auffassung des Bundesrats bekennt. Guillemin-Genf (linksfreis.) 
wendet sich heftig unter wachsender Unruhe des Hauses gegen die innere 
Neutralitätspolitik des Bundesrates. Er erklärt, die welschen Schweizer 
ließen sich ihre Freiheit nicht nehmen, gegen die Verletzung von Verträgen 
durch einen kriegführenden Staat Einspruch zu erheben. (Große Unruhe, 
Zwischenrufe: Schluß! Schluß!) Bossi polemisiert unter immer stärker 
werdender Unruhe und vielfachen Zwischenrufen gegen den Bundespräsidenten 
Motta, der als erster Tessiner seinen eigenen Kanton anschwärze. Bundes- 
präsident Motta ruft, daß er nicht gegen seinen Heimatskanton Tessin ge- 
sprochen habe, sondern gegen das neutralitätswidrige Verhalten Bossis, 
der kein Recht habe, sich mit dem Tessiner Volk zu identifizieren. #Zu- 
stimmung.) 
17. Juni. (Ständerat.) Wettstein-Zürich (freis.) stellt einen 
Antrag, der die Förderung der staatsbürgerlichen Bildung und 
Erziehung der schweizerischen Jugend zum Ziel hat. 
Redner verlangt Förderung der allgemeinen nationalen Erziehung, 
durch vermehrten Unterricht in allen drei Landessprachen zur Ueberwindung 
aller primitiven Sprachen- und Rasseninstinkte, ferner die Schaffung eines 
staatsbürgerlichen Lehrmittels mit finanzieller Hilfe des Bundes, die Aus- 
bildung besonderer Lehrkräfte und vermehrten Unterricht in der neuesten 
Geschichte des schweizerischen Bundesstaates. 
Bundesrat Calonder erklärt namens des Bundesrates die Annahme 
des Antrages, der den Absichten des Bundesrates entgegenkomme; der 
Bundesrat sei im Hinblick auf gewisse innerpolitische Erscheinungen der 
neuesten Zeit überzeugt von der Notwendigkeit, die staatsbürgerliche Er- 
ziehung energisch zu fördern: 
Die Motion Wettstein wird mit 30 gegen eine Stimme angenommen. 
18. Juni. (Nationalrat.) Fortsetzung der Beratung des Ge- 
schäftsberichts. 
Bundesrat Calonder, Chef des Departements des Innern, erklärt, daß 
die Schiffbarmachung des Oberrheins und die Regulierung der 
Bodenseegewässer als Fragen von großer wirtschaftlicher Bedeutung vom 
Bundesrat mit entsprechender Aufmerksamkeit verfolgt und nach Kräften 
gefördert würden. Die Schuld an dem langsamen Tempo liege an dem 
internationalen Charakter der Frage. 
Beim Abschnitt „wirtschaftliches Departement“ kritisieren die Vertreter 
der Sozialdemokratie die Zulassung zu weitgehender Aus fuhr von Lebens- 
mitteln, insbesondere von Käse, und werfen dem Bundesrat vor, er 
handle unter dem Druck der Bauernorganisation. Sie verlangen, daß 
weitere Steigerungen der Milchpreise durch eine Einschränkung der Käse- 
ausfuhr verhindert werden. Ferner fordern sie die Monopolisierung des 
Fleischhandels, des Kartoffelhandels und die Ermäßigung der Brotpreise 
durch Bundeszuschüsse. Bundesrat Schultheß, Chef des Volkswirtschafts- 
departements, erklärt die Teuerung für unabwendbar und wendet sich 
energisch gegen die in der sozialdemokratischen Presse gemachten Vorwürfe, 
der Bundesrat lasse zugunsten der Bauern künstliche Preissteigerungen zu. 
Die Ausfuhrbewilligungen für Käse seien stark eingeschränkt worden. Die 
Regelung des Käsepreises durch die Käse-Export-Gesellschaft habe einen 
konstanten Preis zur Folge und verhindere eine übermäßige Steigerung
	        
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