Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Schmeiz. (Dezember 24. 28.) 1033 
Krieges, welchen die Geschichte kennt. Unser Land, wenn auch vom Kriege 
selbst verschont, leidet gewaltig unter dessen Folgen. Es ist indessen nicht 
allein oder auch nur an erster Stelle unser eigenes Interesse, welches den 
heißen Wunsch nach Frieden hervorruft. Wir sehnen ihn aus rein mensch- 
lichem Empfinden herbei, im Hinblick auf das unsagbare Elend, das der 
Krieg verursacht, auf die geschlagenen Wunden und das unbarmherzige 
Zerstörungswerk, das er an einer Kultur vollbracht hat, auf welche wir bis 
vor kurzem so stolz waren. Wir achten also die Gefühle, aus denen die 
Anfrage der Interpellanten hervorging. Soweit sie jedoch darauf zielt, eine 
direkte Friedensaktion des Bundesrates herbeizuführen, müssen wir Vor- 
behalte machen. Ein solcher Schritt ist zum voraus dem Mißerfolge ge- 
weiht und der Mißdeutung ausgesetzt, solange nicht auf beiden Seiten der 
kriegführenden Parteien das Friedensbedürfnis die ihm entgegenstehenden, 
im Gange der Ereignisse begründeten Widerstände durch eine im eigenen 
Lande vollzogene Wandlung der öffentlichen Meinung ohne fremdes Zutun 
überwunden hat. Ist diese Wandlung noch nicht vollzogen, so müssen nicht 
nur alle fremden Interventionsbewegungen auf dürres Erdreich fallen, 
sondern sie werden geradezu als lästige und wenig freundschaftliche Ein- 
mischung empfunden und können sowohl der Sache des Friedens als auch 
den zwischenstaatlichen Beziehungen zum Schaden gereichen. Es ist Sache 
der individuellen Auffassung, ob der Friedenswille kräftig eingesetzt und 
zu einem ausreichenden Ergebnis geführt hat. Der Bundesrat hält dafür, 
daß das heute noch nicht der Fall ist. Man wird es verstehen, wenn er 
in eine Darlegung der Gründe, die zu dieser Auffassung der Sachlage 
führen, an diesem Orte nicht eintreten kann. Dessen aber dürfen wir Sie 
versichern, daß wir mit gespannter Aufmerksamkeit die Entwicklung der 
Dinge verfolgen und uns glücklich schätzen würden, wenn unser kleines Land, 
getragen von den Sympathien, die es mit den kriegführenden Nationen 
verbinden, getreu seiner traditionellen, neutralen Stellung und in völliger 
Uneigennützigkeit auch nur in bescheidenem Maße dazu beizutragen ver- 
möchte, den ersehnten dauerhaften Frieden herbeizuführen. 
Ueber die Antwort des Bundesrats findet keine Erörterung statt. 
Greulich erklärt sich von der Antwort des Bundesrats befriedigt. 
24. Dez. Der neue türkische Gesandte Fuad Selim Bei wird 
von dem Bundespräsidenten Motta und dem Chef des Politischen 
Departements, Bundesrat Hoffmann, zur Entgegennahme seines 
Beglaubigungsschreibens in Audienz empfangen. 
28. Dez. Die „Neue Zürcher Ztg.“ veröffentlicht einen Artikel 
„Friedensgedanken“, der sich mit deutschen Friedenszielen befaßt 
und behauptet, man denke sich in unterrichteten deutschen Kreisen die 
Grundzüge der jetzt einzuleitenden Friedensverhandlungen folgender- 
maßen: 
1. Belgien soll seine Unabhängigkeit und Selbständigkeit erhalten bleiben, 
sofern es durch Verträge, vielleicht auch durch Faustpfänder, eine Wieder- 
holung der Ereignisse des Jahres 1914 unmöglich macht. Ein völliges Auf- 
saugen Belgiens würde sogar von der deutschen Großindustrie aufs heftigste 
bekämpft werden, weil ein Fallenlassen der Zollschranken zu unleidlichen 
Situationen führen müßte, solange die Arbeiterverhältnisse Belgiens infolge 
des Mangels eines ausreichenden Fabrikgesetzes so weit hinter denen Deutsch- 
lands zurückstehen. Selbst für eine Zollunion verlangt man ein Uebergangs-
	        
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