Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Ruhland. (Februar 9.) 1087 
seindlichen Ländern übernahmen. Ich hebe auch die gute Behandlung her- 
vor, die Schweden den heimreisenden russischen Opfern deutscher Gewalt- 
tätigkeit angedeihen ließ. Hiervon erhoffe ich mir gute freund-nachbarliche 
Beziehungen zwischen Rußland und Schweden, die wir noch herzlicher 
ausgestalten möchten. 
Vor dem Kriege mit der Türkei gelang es uns, den jahrhunderte- 
alten türkisch-persischen Streit durch die Abgrenzung des Gebietes vom 
Persischen Golf bis zum Araratgebirge zu beenden. Dadurch haben wir 
Persien einen umstrittenen Landstrich von beinahe 1000 Quadratwerst, 
der zum Teile von den Türken besetzt war, erhalten. Seit Kriegsausbruch 
erklärte sich Persien neutral, was aber Deutschland, Oesterreich-Ungarn 
und die Türkei nicht gehindert hat, dort ihre Werbetätigkeit zu entfalten, 
um Persien für sich zu gewinnen. Diese Umtriebe waren besonders stark 
in Aserbeidschan, wo es den Türken gelungen ist, einen Teil der das Land 
bewohnenden Kurden mit sich zu reißen. Unter der Verletzung der per- 
sischen Neutralität überschritten sodann die osmanischen Truppen die 
Grenze Persiens, drangen, von kurdischen Banden unterstützt, in Gegenden 
ein, wo unsere Besatzungen standen und machten Aserbeidschan so zu einem 
Teile des russisch-türkischen Kriegsschauplatzes. Dabei will ich sagen, daß 
die Anwesenheit unserer Truppen in Persien keineswegs eine Verletzung 
der Neutralität war, denn sie wurden schon vor mehreren Jahren dorthin 
abgesandt, um die Ordnung in den uns benachbarten Gebieten aufrecht 
zu erhalten und das Eindringen der Türken zu verhindern, die sich dort 
eine vorteilhafte Basis für ihr Vordringen in den Kaukasus schaffen 
wollten. Die versische Regierung war nicht imstande, wirksam einzugreifen 
und hat erfolglos Einspruch erhoben. Ich mufj feststellen, daß das englisch- 
russische Verhältnis in Sachen Persiens mehr als je auf dem 
rückhaltlosen Vertrauen beider Teile und der gegenseitigen Unterstützung 
beruht, was selbst bei einer Meinungsverschiedenheit eine friedliche Lösung 
verbürgt. 
Die Abmachungen mit Japan in den Jahren 1907 und 1910 
haben im jetzigen Kriege Früchte getragen, denn Japan ist mit uns. Es 
hat die Deutschen vom Stillen Ozean vertrieben und sich ihres Stütz- 
punktes Kiautschou bemächtigt. Japan hat das Uebereinkommen vom 
23. März nicht unterzeichnet, weil das englisch-japanische Bündnis die 
Verpflichtung einschließt, keinen Sonderfrieden zu machen. Die deutsche 
Regierung darf also nicht auf einen Frieden mit Japan hoffen vor einem 
Frieden mit England und folglich auch mit Rußland und Frankreich. 
Unsere Beziehungen zu Japan geben uns die Sicherheit, daß die For- 
derungen Japans an China nichts enthalten, was unseren Interessen 
widerspräche. In dem Verhältnis Rußlands zu China kann ich eine 
ständige Besserung feststellen. Die Unterhandlungen über die Mongolei 
werden langsam, aber im freundschaftlichen Tone fortgeführt. Ich hoffe, 
Ihnen nächstens die glückliche Beendigung und Unterzeichnung des drei- 
fachen russisch-chinesisch-mongolischen Vertrages mitteilen zu können, der 
die russischen Interessen wahrt, ohne China zu nahe zu treten. 
Der Minister fährt dann fort, indem er auf die angeblichen Versuche 
der Deutschen hinwies, Zwietracht unter den Verbündeten zu säen und 
Gerüchte zu verbreiten, nach denen einer der Verbündeten bereit wäre, 
einen Sonderfrieden abzuschließen: Glücklicherweise scheiterte dieser 
Versuch kläglich. Die Welt weiß, daß die Einigkeit der Verbündeten un- 
erschütterlich ist und täglich fester wird. Sie zielt allein auf die Zerstörung 
der militärischen Macht des Feindes ab, um eine Lage in Europa zu 
schaffen, die diesem gestattet, sich eines sesten Friedens zu erfreuen. Zu 
Europäischer Geschichtskalender. LVI. 69
	        
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