Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

1102 Rußland. Zuli 29.—August 1.) 
29. Juli. Der Ministerrat stimmt der Einbringung eines Ge- 
setzes in der Reichsduma zu, durch das ein besonderer Beratungs- 
ausschuß für die Vereinheitlichung der Maßregeln zur 
nationalen Verteidigung eingesetzt werden soll. 
30. Juli. (Petersburg.) Der Höchstkommandierende. General 
Rußki, veröffentlicht einen Tagesbefehl gegen die Arbeitseinstel- 
lungen. 
In dem Tagesbefehl heißt es, daß, während die russischen Soldaten 
gegen den mächtigen Feind kämpfen, die Petersburger Arbeiter in den 
Fabriken für Kriegsbedarf ihre Arbeit eingestellt haben. Er gebe den 
Arbeitern sein Wort, daß die Meldungen über die Petersburger Streiks 
schwer auf der Seele der kämpfenden Truppen lasten und dem Feinde eine 
boshafte Freude bereiten. Eine Arbeitseinstellung in dieser schweren Zeit 
käme einem Landesverrat gleich. 
Die Arbeiter im Petersburger Arsenal und in den Putilowschen 
Werken haben nicht nur die Arbeit eingestellt, sondern selbst einen Antrag 
der Verwaltung, die Löhne bis zu 50 vom Hundert zu erhöhen, rundweg 
abgelehnt. Die staatliche Patronenfabrik an der Liteinistraße wird durch 
Militär bewacht, da auch die dortigen Arbeiter den Streik proklamieren 
wollen. Auf der staatlichen Pulverfabrik Porochowyja Sawody bei Peters- 
burg hat der leitende Generalmajor den Arbeitern erklärt, er werde auf 
die streiklustigen Arbeiter schießen lassen. 
1. Aug. Anläßlich des Jahrestages des Krieges erläßt der 
Zar an die Angehörigen von Heer und Flotte einen Tagesbefehl. 
Es heißt darin, daß, obwohl trotz aller Anstrengungen, die ihre Fahnen 
mit neuem Ruhm bedeckt hätten, des Feindes RKraft noch nicht gebrochen 
sei, sie doch nicht den Mut verlieren und nicht zurückschrecken dürften vor 
neuen Opfern und neuen Prüfungen, die nölig seien, um Rußland dem 
friedlichen Leben wieder zuzuführen. Gott habe oft dem Vaterlande schmerz- 
liche Prüfungen gesandt, aber das Land sei stets mit neuer Kraft und 
neuer Stärke daraus hervorgegangen. 
1. Aug. Justizminister Tscheglowitow tritt zurück; an seine Stelle 
tritt das Mitglied des Reichsrats A. Chwostow. Zum Minister des 
Innern wird der Verweser dieses Ministeriums Fürst Schtscher- 
batow ernannt. 
1. Aug. Die Duma wird gemäß dem Ukas des Zaren unter 
dem Vorsitz Rodsiankos in Gegenwart aller Minister und des 
diplomatischen Korps eröffnet. 
Präsident Rodsianko sagt in seiner Eröffnungsrede: 
Je schrecklicher der Krieg wird, desto mehr durchdringt Rußland sich 
mit dem festen und unerschütterlichen Entschluß, den Streit zu einem guten 
Ende zu führen. Dieser Entschluß nun fordert die vollständige Einigkeit 
aller Bevölkerungsklassen und die weitgehendste Entwicklung aller schöpfe- 
rischen Kräfte der Nation. Der Präsident fordert die Abgeordneten auf, 
der Regierung den Weg zu diesem Ziele anzugeben. Er entbietet der 
tapferen russischen Armee, welche die wütenden Angriffe des Feindes kräftig 
und unermüdlich abwehre, Grüße. Er begrüßt die diplomatischen Ver- 
treter der befreundeten und verbündeten Staaten, welchen darauf alle Ab-
	        
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