Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

1130 Rußland. (September 8. 9.) 
frommen Wünsche (voeux devots) aller Russen erweckte, welche Ihren 
Namen durch alle unvermeidlichen Wechselfälle des Kriegsglücks begleiteten. 
Die Bürde des Dienstes am Vaterland, die Gott auf mich gelegt hat, be- 
fiehlt mir heute, da der Feind in das Innere des Reiches eingedrungen 
ist, den Oberbefehl über die aktiven Truppen zu übernehmen, mit meinem 
Heere die Anstrengungen des Krieges zu teilen und mit ihm die russische 
Erde gegen die Angriffe des Feindes zu schützen. Die Wege der Vorsehung 
sind unbekannt, aber meine Pflicht und mein Verlangen bestärken mich in 
diesem Entschluß, der auf Erwägungen des Nutzens für den Staat beruht. 
Der feindliche Einbruch von Westen her, der sich immer verschärft, verlangt 
vor allem die stärkste Konzentration aller militärischen und bürgerlichen 
Behörden, sowie die Vereinigung des Oberbefehls im Kriege mit der all- 
gemeinen Tätigkeit aller Verwaltungszweige der Regierung, was unsere 
Aufmerksamkeit von der Südfront ablenkt. Bei diesem Stand der Dinge 
erkenne ich die Notwendigkeit Ihrer Hilfe und Ihres Rates auf unserer 
Südfront und ernenne Sie zum Vizekönig des Kaukasus und zum 
Oberbefehlshaber der tapferen Kaukasusarmee. Ich drücke Eurer 
Kaiserlichen Hoheit meine tiefe Dankbarkeit für Ihre Anstrengungen im 
bisherigen Teil des Krieges aus. 
Tagesbefehl des Oberbefehlshabers Großfürsten Nikolai 
Nikolajewitsch an die Truppen: 
Tapferes Heer und tapfere Flotte! 
Heute hat sich Euer erhabener Oberster Kriegsherr, Seine Majestät 
der Kaiser, selbst an Eure Spitze gestellt. Ich neige mich vor Eurem Helden- 
mut, den Ihr seit mehr als einem Jahre bewiesen habt. Ich drücke Euch 
meine herzliche, warme und aufrichtige Dankbarkeit aus. Ich bin fest davon 
überzeugt, daß Ihr von dem Zeitpunkte an, an dem der Zar, dem Ihr 
den Fahneneid geschworen habt, Euch führt, neue beispiellose Taten voll- 
führen werdet. Ich glaube, daß Gott vom heutigen Tage ab seinem Er- 
wählten seine allmächtige zum Siege führende Hilfe angedeihen lassen wird. 
8. Sept. Graf Woronzow-Daschkow, Statthalter im Kaukasus, 
wird aus Gesundheitsrücksichten seines Postens enthoben. 
8. Sept. Der Heilige Synod ordnet ein dreitägiges Fasten 
und Beten in ganz Rußland an. 
Der Erlaß erklärt, das Volk müsse Buße tun und beichten, weil es 
zu geizig und zu faul sei; dadurch sei die Teuerung entstanden. Der Synod 
hofft, daß durch Gebete und Buße eine Katastrophe, wie vor 520 Jahren 
bei dem Einfall Tamerlans, abgewendet werden könne. 
9. Sept. Großfürst Nikolaus reist nach dem Kaukasus ab. 
9. Sept. Zusammenschluß der gemäßigten Parteien der Reichs- 
duma und der liberalen Elemente des Reichsrats zu einer neuen 
parlamentarischen Gruppe mit fortschrittlichem Programm. 
Die neue Parteigruppierung, für die der Name „Block"“ geprägt wird, 
umfaßt von 439 Mitgliedern der Duma 300, nämlich die nationalistischen 
Progressisten, die Zentrumspartei und die beiden Fraktionen der Oktobristen, 
die Progressisten, Kadetten, die Sozialdemokraten, Mohammedaner und Weiß- 
russen, also die Mehrheit, vom Reichsrate das Zentrum, die Unabhängigen 
und die akademische Giuppe, also nur eine Minderheit.
	        
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