Rußland. (September 9.—13.) 1131
Folgendes Programm gelangt nach längeren Verhandlungen zur An-
nahme: 1. Bildung einer geeinigten Regierung aus Persönlichkeiten, die das
Vertrauen des Landes genießen; 2. Erneuerung des Personals der Provinz-
verwaltungen; 3. Praktische Befolgung einer Politik, um eine Einigkeit
herzustellen und den Nationalitäten- und Klassenkampf im Reiche zu unter-
drücken; 4. Befreiung und Wiedereinsetzung in ihre Rechte der aus politi-
schen und religiösen Gründen Bestraften; 5. Sofortige Prüfung der Auto-
nomie Polens; 6. Aufhebung der Aufenthaltszonen der Juden; 7. Fried-
liche Politik gegenüber Finnland; 8. Wiederherstellung der kleinrussischen
Arbeiterpresse; 9. Wiederherstellung der Arbeiterverbände; 10. Rechtliche
Gleichstellung der Bauern; 11. Endgültiges Alkoholverbot.
9. Sept. Verbot des einzigen Petersburger Arbeiterblatts „Utro“.
10. Sept. (Duma.) Bei Beratung der Zensurfrage kommt es
zu heftigen Angriffen gegen die Regierung.
Der Redner der Linken, Grodsitzki, klagt den Dumaausschuß an,
daß er durch seinen Vorschlag, die Zensur auch auf militärische Dinge nicht
unmittelbar berührende Gebiete zu erstrecken, die Zensur noch verschärft
habe. Suchanow sagt, über das Vorgehen gegen Suchomlinow, der un-
zweifelhaft ein Verbrecher sei, streiche die Zensur alles aus den Zeitungen.
Die Volkswut habe bereits den Minister des Innern, Maklakow, verjagt,
und es sei zu hoffen, daß sie auch andere Hindernisse der Freiheit ver-
nichten werde. Der Kadett Maklakow spricht die Sehnsucht nach einem
starken Manne wie Stolypin aus. Die jetzige Regierung werde von un-
verantwortlichen Persönlichkeiten in jeder Weise gehemmt. Die einzige
Rettung sei ein Volksministerium. Der Abg. von Lodz, Bomasch, äußert,
die Kriegszensur habe gegen die Juden schlimmer als der schlimmste Feind
gewütet. Besonders der Generalstabschef Januschkewitsch habe fürchterliches
Unheil angerichtet. Der Pole Dümbscha beschwert sich, daß nun in der
Umgegend von Wilna und Kowno weite Strecken Rußlands geräumt und
verwüstet seien. Unmengen von Flüchtlingen und Kindern sterben vor Kälte.
10. Sept. Bark ist über Paris nach London abgereist.
Der „Manchester Guardian“ schreibt über die bevorstehende Ankunft
des russischen Finan zministers Bark in England: Kaum jemals hatte eine
Reise so große politische Bedeutung. Der schlechten militärischen Lage steht
die verschlechterte finanzielle Lage Rußlands gegenüber. In der Duma hat
man ziemlich ungeschminkt zu verstehen gegeben, daß an eine innere An-
leihe nicht zu denken ist. Wie sich die wirtschaftliche und militärische Lage
Rußlands noch gestalten wird, bleibt ein Rätsel. Hilfe kann hier nur Eng-
land bringen und es wird einer großen Anspannung bedürfen, um Ruß-
land über Wasser zu halten. Unter diesen Umständen ist es zu verstehen,
daß man in russischen Kreisen an einen vorteilhaften Sonderfrieden denkt,
was unbedingt vermieden werden muß. England muß deshalb alles tun,
um Rußland diejenige finanzielle Hilfe zu gewähren, die es nötig hat.
13. Sept. Ministerpräsident Goremykin ist ins Hauptquartier
abgereist, um dem Zaren über die Forderungen des Dumablocks
Bericht zu erstatten.
13. Sept. Ein Geheimbefehl des Hauptkommandierenden der
drei russischen Armeegruppen an die militärischen Befehlshaber in
den Grenzbezirken lautet: