Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Rußland. (Oktober 26.—28.) 1139 
Verweigerung der Amnestie, insbesondere mit Rücksicht auf die Streik- 
bewegung in den Munitionsfabriken; Ablehnung der Ministerverantwort- 
lichkeit, die nur Verwirrung hervorbringen könnte; Ausstattung der Re- 
gierung mit besonderen weitestgehenden Vollmachten, um mit eiserner Festig- 
keit alles zur Vorbereitung des Sieges durchzuführen; Kampf gegen Teuerung 
und Deutschtum; militärische Organisation aller Fabriken. 
26. Okt. Finanzminister Bark empfängt Vertreter der Presse 
Petersburgs und Moskaus und gibt ihnen eine Ubersicht über 
die finanzielle Lage Rußlands. 
Er erklärt, daß ein ausgearbeiteter vorläufiger Steuerüberschlag einer 
großen Kommission zur Beratung überwiesen worden sei, die aus Mit- 
gliedern der Duma und des Reichsrates, sowie aus Vertretern der leitenden 
Finanzinstitute zusammengesetzt sei. Der Kern der geplanten großen Finanz- 
reform sei die Einführung der Einkommensteuer, die die Duma bereits 
grundsäplich genehmigt habe. Diese Steuer werde bedeutende Beträge ein- 
bringen. Allein die Einnahme aus der Textilindustrie werde auf 150 Mil- 
lionen Rubel jährlich veranschlagt. In Verbindung mit der Einkommen- 
steuer werde die Einführung von Staatsmonopolen vorgeschlagen, die 
bereits so günstige Ergebnisse erzielt haben. Bisher sei die Einführung 
des Tee-, Streichholz= und Zuckermonopols geplant, aber es be- 
stehe die Absicht, auf diesem Wege noch weiter zu gehen. Bezüglich der 
inneren Anleihe äußert sich der Minister dahin, er sei überzeugt, daß 
sie eine günstige Aufnahme im Publikum finden werde. Der russische Geld- 
markt verfüge über gewaltige flüssige Mittel. Die Einlagen der Banken 
und Sparkassen überschritten 4 Milliarden Rubel, das letzte Jahr habe 
allein eine Vermehrung um 700 Millionen gebracht. Unter diesen Um- 
ständen sei man berechtigt, mit einem unbedingten Erfolge zu rechnen, der 
es möglich machen werde, große Mengen von umlaufenden Reichsbanknoten 
einzuziehen und einen Teil der äußeren Anleihe von 5 Milliarden zu 
amortisieren, sowie neue 60ige Schatzanweisungen auszustellen. Der Minister 
macht darauf aufmerksam, es sei für die russischen Kapitalisten vorteilhaft, 
Geld in den neuausgestellten 5% igen Staatsobligationen anzulegen, die 
von der Staatskasse garantiert und mit Kupons für dreimal 12 Monate 
versehen seien, so daß die Inhaber sie mit einem Verdienste von 1% reali- 
sieren könnten. Schließlich erklärt er, es habe sich als unpraktisch erwiesen, 
Freimarken anstatt Scheidemünzen zu verwenden. Er plane jetzt die Aus- 
stellung von kleinen Noten, wie die italienischen Lirenoten. Die Kom- 
mission für Flüchtlinge unter der Leitung Chwostows habe dem Statthalter 
im Kaukasus eine halbe Million Rubel angewiesen und eine Million zur 
Vorbengung gegen Epidemien überwiesen, ferner 26 Millionen Rubel zur 
Deckung der Ausgaben der Semstwos. Letztere hätten bereits einen Betrag 
von über 3 Millionen Rubel zur Deckung von Staatsausgaben verauslagt. 
27. Okt. Der fortschrittliche Block beschließt, daß seine Mit- 
glieder in der Duma und im Reichsrate gemeinsame Sitzungen mit 
den verschiedenen Ausschüssen und parlamentarischen Kommissionen 
abhalten, damit die politische Arbeit in der Zeit nicht still liege, 
in der Duma und Reichsrat nicht tagen. 
W. Okt. Die russischen Sozialisten gegen einen Sonderfrieden. 
Ein Aufruf der Sozialisten fordert die Arbeiter auf, sich jeder Hand- 
lung zu enthalten, die mittelbar oder unmittelbar dem Feinde nützen kann.
	        
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