Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Türkei. (Oktober 5.) 1159 
graben werden, um niemals wieder aufzuleben. Unser Nachbar Bulgarien 
eröffnet in der Geschichte ein neues und sehr wichtiges Kapitel. Es ist 
außer Zweifel, daß es ebenso günstig sein wird wie das unsere. Das wich- 
tigste Ergebnis dieses Krieges ist, daß von der Nordsee bis zum Indischen 
Ozean eine mächtige Gruppe geschaffen sein wird, die sich ewig gegen den 
englischen Eigennutz halten wird, der die Ursache des Verlustes von Mil- 
lionen von Menschenleben und Milliarden von Vermögen ist, die sich weiter 
richtet gegen den russischen Ehrgeiz, gegen die französische Revanche und 
den italienischen Verrat. Um ein derartig glückliches Ergebnis zu sichern, 
wird die türkische Nation stolz jedes Opfer bringen. 
Kriegsminister Enver Pascha sagt: Nach dem letzten Kriege, der zu 
einem Gebietsverlust führte, zu einem Angriff auf unsere Würde, folgte das 
Kriegsministerium dem Beispiel der anderen Departements in der Förde- 
rung der Wiedergeburt des Vaterlandes und suchte die verstreuten Teile 
wieder zu sammeln. Die Ereignisse überstürz:en sich in unerwarteter Weise. 
Der allgemeine Krieg brach in dem Augenblick aus, als man sich dessen am 
wenigsten versah. Die geographische Lage unseres Landes und die Beziehungen 
zu unseren Nachbarn, deren Haltung uns beeinflussen konnte, verpflichteten 
uns dazu, auf der Hut zu sein, und der Mangel in unseren Verbindungs- 
mitteln versetzte uns in die Notwendigkeit, uns sofort an unsere Aufgabe 
zu machen. Inzwischen ordnete der Sultan die Mobilmachung an. Die 
gesamte Nation strömte in kaum gehoffter Begeisterung zu den Waffen. Ein 
großes Heer wurde aufgestellt. Inzwischen ging der Krieg weiter, und der 
Lauf der Ereignisse bedrohte uns. Von einem Augenblick zum anderen taten 
wir alles, was möglich war, um einen Krieg zu vermeiden. Der erste 
Kanonenschuß, der von der russischen Offensive im Schwarzen Meere her- 
rührte, zwang uns, am Krieg teilzunehmen. Wir verstanden sofort, daß 
unsere Feinde seit langem bereit waren, unsere Grenzen zu überschreiten. 
Sie suchten den günstigen Moment zur Ausführung ihrer Pläne. Wir 
waren von allen Seiten feindlichen Angriffen ausgesetzt. Da die Regierung 
keine Angriffsabsicht hatte, hatte sie ihre Streitkräfte verteilt, um sich gegen. 
Angriffe von außen zu rüsten. Die russische Offensive, die mit dem ersten 
Kanonenschuß im Kaukasus begann, schien einen Augenblick Fortschritte zu 
machen. Aber einen Monat später verfolgten wir durch Gegenangriffe die 
Russen bis in ihr eigenes Gebiet und machten es dann der russischen Armee 
unmöglich, uns zu schaden. Inzwischen bereiteten sich wichtige Ereignisse 
an den Dardanellen vor, aber vorher unternahmen wir den Zug nach 
Aegypten. Nach den vorbereitenden Schritten für diese Expedition, die für 
unmöglich gehalten wurde, überschritten wir den Sinai und besetzten das 
Gelände in der Umgebung des Kanals, das für die zukünftigen Operationen 
für unentbehrlich erachtet wurde. Wir kannten den Plan des Feindes und 
trafen Gegenmaßregeln. Diese Unternehmung gab uns die feste Ueber- 
zeugung, daß eine Expedition gegen Aegypten möglich und daß sie von 
vollem Erfolg gekrönt sein wird. 
In der Zwischenzeit unternahm die englisch- „französische Flotte einige 
kleine Vorstöße gegen die Dardanellen. Die äußeren Forts, die keinen 
militärischen Wert haben, schwiegen, nachdem sie unerwarteten Widerstand 
entgegengesetzt hatten. Der Feind, durch den leichten Erfolg ermutigt, griff 
am 18. März mit seiner für unbesiegbar gehaltenen Flotte die Meerenge 
an. Aber mit Gottes Hilfe versenkten wir einen Teil seiner Flotte, was 
den geschlagenen Gegner zwang zurückzugehen. Nachdem diese Unternehmung 
gescheitert war, dachte der Feind daran, uns auf dem Lande zu besiegen, 
die Meerenge zu öffnen und Konstantinopel zu nehmen. Aber auch dies- 
mal behielt unsere Voraussicht über die Absichten des Feindes die Ober-
	        
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