Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

SFulzarien. (September 9.—21.) 1177 
9. Sept. Das Organ der Regierung „Narodni Prava“ ver- 
öffentlicht folgende Aufsehen erregende Erklärung über die Lage: 
Sobald alle Mittel der friedlichen Verständigung versagen, sieht sich 
ein Staat, der seine nationale Selbstbestimmung erreichen will, gezwungen, 
die bewaffnete Macht anzuwenden. Für die bulgarische Oeffentlichkeit wird 
es immer klarer, daß unsere Verbündeten um nichts aufhören werden, das 
unglückliche Mazedonien zu knechten, solange die bulgarische Macht nicht 
zu Worte kommt. Der bulgarischen Regierung, die alle Mittel, selbst jenes 
der direkten Einmischung der Ententemächte zur Erreichung einer Ver- 
ständigung unter den Balkanmächten erschöpfte, bleibt nur noch übrig, 
sichere und wirksamere Mittel zu suchen, um die nationalen bulgarischen 
Ideale für die Tausende geopfert wurden, zu verwirklichen. 
17. Sept. Der König empfängt die Führer der Opposition, die 
den Wunsch geäußert haben, ihm ihre Ansichten über die Lage darzulegen. 
Der Abordnung gehören an: Malinow, Geschow, Danew, Tzanow 
und Stambolisky. Die beiden letzteren vertreten die radikale und die 
Agrarpartei. Die Sozialisten lehnten es ab, sich diesem Schritte anzuschließen, 
Die Oppositionsführer unterziehen, jeder vom Standpunkt seiner Partei, 
die Politik der Regierung einer Kritik und verlangen entschieden die Ein- 
berufung der Sobranje sowie die Bildung eines Konzentrationskabinetts, 
damit Abenteuer vermieden werden, die den Empfindungen der Nation zu- 
widerlaufen und verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen werden. Der König 
nimmt die Erklärungen der Führer der Opposition zur Kenntnis und teilt 
mit, daß sich der Ministerpräsident mit der Angelegenheit befassen werde. 
17. Sept. Die mazedonischen Bulgaren werden zu 45tägigen 
Waffenübungen einberufen. 
19. Sept. Mobilmachung von bbulgarischen Divisionen. 
21. Sept. Nadoslawow erklärt das serbische Angebot als un- 
genügend. 
Ministerpräsident Radoslawow hat eine Besprechung mit den Re- 
gierungsparteien, in welcher er ihnen einen vertraulichen Ueberblick über 
die allgemeine politische und militärische Lage auf der Balkanhalbinsel 
und in Europa gibt. Bei Berührung der serbisch-bulgarischen Be- 
ziehungen sagt Radoslawow: Serbien bietet uns jetzt die sofortige Besetzung 
von Mazedonien bis zum Wardar an und macht die Abtretung von Mazedo- 
nien jenseits des Wardar davon abhängig, daß es selbst Bosnien, Herzegowina, 
Kroatien und Dalmatien erhält. Diese Bedingungen sind für uns unge- 
nügend. Rumänien und Griechenland werden neutral bleiben. Der Minister 
spricht nicht von Kawala und Seres, die jetzt im Besitze Griechenlands sind. 
21. Sept. Der König befiehlt die allgemeine Mobilmachung. 
Die Mobilmachung wird am 24. September folgendermaßen amtlich 
begründet: Der Eintritt Bulgariens in den Zustand der bewaffneten Neu- 
tralität ist nach der Auffassung amtlicher Kreise aus den Veränderungen zu 
erklären, die kürzlich in der politischen und militärischen Lage entstanden sind. 
Bulgarien hat keinerlei feindliche Absichten, ist aber fest entschlossen, seine 
Rechte und seine Unabhängigkeit Gewehr bei Fuß zu wahren. Nach dem Muster 
von Holland und der Schweiz, die nicht gezaudert haben, vom Kriegsbeginn 
an zu dieser Maßregel zu greifen, sieht sich Bulgarien in anbetracht der 
Truppenbewegungen bei seinen Nachbarn genötigt, die bewaffnete Neu-
	        
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