Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Rumũnien. (Dezember 25. 30.) 1207 
seiner Ausdehnung. Von Deutschland können wir natürlich auch nichts 
anderes erwarten. Die Wirkung der deutschen Macht haben wir immer ge— 
fühlt, und stets in einer uns wohlwollenden Weise. Die genaue Einschätzung 
der Wirklichkeit führt uns zu dem Schluß, daß Rumänien den Weg ein— 
schlagen muß, der es davor bewahrt, Rußlands Vasall zu werden. (Cuza 
[Nationaldemokrat] ruft: Also dann sollen wir Vasallen Ungarns werden? 
Carp: Wir sind bisher nie Vasallen Ungarns gewesen und werden es nie- 
mals sein. Der Redner fährt fort: Es hat sich bei uns eine besondere Atmo- 
sphäre politischer Erregung und Unaufrichtigkeit gebildet. Die Aeußerung 
Moldoveanus, daß die siebenbürgischen Rumänen nur getrieben in den 
Kampf gehen, ist sehr bedauerlich. Diese Worte waren eine Beschimpfung 
der Helden, die den Tod gefunden haben. Wenn die Agitatoren öffentliche 
Versammlungen halten, sollten sie sagen: Wir gehen mit Rußland und wir 
werden Siebenbürgen bekommen; aber ein Stück der Moldau werden wir 
verlieren, die Meerengen werden geschlossen werden und man wird uns 
die Donaumündungen nehmen. (Delavrancea ruft: Woher wissen Sie, daß 
Rußland das alles will?) Carp fährt fort: Die Sache ist bekannt, wenn es 
auch nicht gesagt wird. Unter diesen Bedingungen wird das ru- 
mänische Volk nicht mit Rußland gehen. Ein solches Bündnis würde 
zur Folge haben, daß man sich unserer Armee und unseres Volkes bedienen 
würde, daß aber weder uns, noch den übrigen Rumänen genützt würde. 
Was sich heute bei uus abspielt, ist schon dagewesen. Es hat schon Zeiten 
gegeben, wo Agitatoren, die vorgaben, den Interessen der Nation zu dienen, 
in Wirklichkeit das Gegenteil taten. 
Carp schließt, indem er sich an den Ministerpräsidenten wandte: Sie 
leiden an Unentschlossenheit; fassen Sie einen Entschluß, und Sie werden 
nicht mehr leiden! (Eine Stimme ruft: Belagerungszustand!) Carp: Wer 
der lärmenden Menge nicht widerstehen kann, ist kein Staatsmann. Ich 
wünsche Ihnen, Herr Bratianu. daß die Ereignisse Sie nicht hinter sich 
herziehen mögen, sondern daß Sie in Uebereinstimmung mit ihnen gehen. 
Am 29. Dez. bekämpft der liberale Abgeordnete Diamandi die An- 
sichten Carps, Deutschland habe die Kultur der Kraft. Alle Kultur sei im 
Gegensatz zu den Ansichten Carps von Frankreich ausgegangen. Bei Deutsch- 
land, wo die Junker allmächtig seien, müsse man die Ursache des Krieges 
suchen, da es nach 1870 sfeine Macht auch auf maritimem Gebiete ent. 
wickelt habe. Nach der Katastrophe von Serafewo habe Deutschland von 
seinem militärischen Uebergewicht Gebrauch machen wollen. Redner be- 
zweifelt die Richtigkeit der Ansicht Carps, daß Rußland die Donau- 
mündungen mit Galatz nehmen wolle. (Carp hatte auf den Zwischenruf, 
woher er wisse, daß Rußland einen Teil der Moldau, die Meerengen und 
Donaumündungen haben wolle, erwidert, daß der russische Ministerpräsident 
es selbst gesagt habe.) Diamandi bespricht hierauf einzelne angeblich günstige 
Gelegenheiten für Rumänien, in den Krieg einzugreisen, und findet, daß 
auch Lemberg keine solche Gelegenheit gewesen sei. Ebenso sei der Eintritt 
Bulgariens in den Krieg keine günstige Gelegenheit gewesen. Auf eine 
Frage, wohin sich Rumänien wenden solle, antwortet der Redner: Keines- 
wegs gegen Bessarabien, wie Carp es meine. Diamandi gibt schließlich der 
Hoffnung Ausdruck, daß Rumänien mit dem Verband gehen werde, denn 
dort lägen die Lebensinteressen Rumäniens. 
Der liberale Abgeordnete Stere erklärte, vielfach unterbrochen, er 
fühle sich verpflichtet, an Bessarabien zu denken, denn er sei der einzige 
Abgeordnete, der dort geboren sei. Ein siegreiches Rußland bedeute die 
Angliederung Galiziens und Konstantinopels sowie der Mcerengen und 
der Donau bis zum Eisernen Tor. Rumänien bleibe inmitten des russi-
	        
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