Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Anhang mu ben Pereinigten Slasten von Nerdameriks. (Februar 16.) 1301 
die Lebensmittelzufuhr von Dänemark nach England zugelassen, obwohl sie 
diese Zufuhr durch ihre Seestreitkräfte sehr wohl hätte unterbinden können. 
Im Gegensatz hierzu hat England selbst schwere Verletzungen des 
Völkerrechts nicht gescheut, wenn es dadurch den friedlichen Handel Deutsch- 
lands mit dem neutralen Ausland lähmen konnte. Auf Einzelheiten wird 
die deutsche Regierung hier um so weniger einzugehen brauchen, als solche 
in der ihr zur Kenntnis mitgeteilten amerikanischen Note an die britische 
Regierung vom 28. Dezember v. J. auf Grund fünfmonatiger Erfahrungen 
zutreffend, wenn auch nicht erschöpfend, dargelegt sind. 
Alle diese Uebergriffe sind zugestandenermaßen darauf gerichtet, Deutsch- 
land von aller Zufuhr abzuschneiden und dadurch die friedliche Zivilbevölke- 
rung dem Hungertod preiszugeben, ein jedem Kriegsrecht und jeder Menschlich- 
keit widersprechendes Verfahren. 
Die Neutralen haben die völkerrechtswidrige Unterbindung ihres Handels 
mit Deutschland nicht zu verhindern vermocht. Die amerikanische Regierung 
hat zwar, wie Deutschland gern anerkennt, gegen das englische Verfahren 
Protest erhoben; trotz dieses Protestes und der Proteste der übrigen neu- 
tralen Regierungen hat England sich von dem eingeschlagenen Verfahren 
nicht abbringen lassen. So ist noch vor kurzem das amerikanische Schiff 
„Wilhelmina“ (vgl. Großbritannien 20. Febr., oben S. 736) von englischer 
Seite aufgebracht worden, obwohl seine Ladung lediglich für die deutsche 
Zivilbevölkerung bestimmt war und nach einer ausdrücklichen Erklärung 
der deutschen Regierung nur für diesen Zweck verwendet werden sollte. 
Dadurch ist folgender Zustand geschaffen worden: 
Deutschland ist unter stillschweigender oder protestierender Duldung der 
Neutralen von der überseeischen Zufuhr so gut wie abgeschnitten, und zwar 
nicht nur hinsichtlich solcher Waren, die absolute Konterbande sind, sondern 
hinsichtlich solcher, die nach dem vor Kriegsausbruch allgemein anerkannten 
Recht nur relative Konterbande oder überhaupt keine Konterbande sind. 
England dagegen wird unter Duldung der neutralen Regierungen nicht 
nur mit solchen Waren versorgt, die keine oder nur relative Konterbande 
sind, von England aber gegenüber Deutschland als absolute Konterbande 
behandelt werden (Lebensmittel, industrielle Rohstoffe usw.), sondern sogar mit 
Waren, die stets und unzweifelhaft als absolute Konterbande gelten. Die deutsche 
Regierung glaubt insbesondere und mit dem größten Nachdruck darauf hinweisen 
zu müssen, daß ein auf viele Hunderte von Millionen Mark geschätzter 
Waffenhandel amerikanischer Lieferanten mit Deutschlands Feinden besteht. 
Die deutsche Regierung gibt sich wohl Rechenschaft darüber, daß die 
Ausübung von Rechten und die Duldung von Unrecht seitens der Neutralen 
formell in deren Belieben steht und keinen formellen Neutralitätsbruch in- 
volviert; sie hat infolgedessen den Vorwurf des formellen Neutralitätsbruchs 
nicht erhoben. Die deutsche Regierung kann aber — gerade im Interesse 
voller Klarheit in den Beziehungen beider Länder — nicht umhin, hervor- 
zuheben, daß sie mit der gesamten öffentlichen Meinung Deutschlands sich 
dadurch schwer benachteiligt fühlt, daß die Neutralen in der Wahrung ihrer 
Rechte auf den völkerrechtlich legitimen Handel mit Deutschland bisher keine 
oder nur unbedeutende Erfolge erzielt haben, während sie von ihrem Recht, 
den Konterbandehandel mit England und unseren anderen Feinden zu 
dulden, uneingeschränkten Gebrauch machen. Wenn es das formale Recht 
der Neutralen ist, ihren legitimen Handel mit Deutschland nicht zu schützen, 
ja sogar sich von England zu einer bewußten und gewollten Einschränkung 
des Handels bewegen zu lassen, so ist es auf der anderen Seite nicht minder 
ihr gutes, aber leider nicht angewendetes Recht, den Konterbandehandel, 
insbesondere den Waffenhandel mit Deutschlands Feinden abzustellen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.