Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Iubans in ben Vereinigten Staaten von Nordameriks. (Juni 29.) 1329 
Geehrter Herr Staatssekretär! 
Ich beziehe mich auf unsere heutige Unterredung und ersuche Sie, 
davon Kenntnis zu nehmen, daß meine Instruktionen hinsichtlich der Ant- 
wort auf Ihre letzte „Lusitania“-Note den folgenden Satz enthalten: 
„Postdampfer werden von unseren Unterseebooten nicht versenkt 
werden ohne vorherige Warnung und ohne daß die an Bord befindlichen 
Nichtkämpfer in Sicherheit gebracht worden sind, vorausgesetzt, daß die 
Postdampfer nicht zu entkommen oder Widerstand zu leisten suchen.“ 
Obwohl ich weiß, daß Sie über die „Lusitania“-Frage nicht zu dis- 
kutieren wünschen, bevor nicht der „Arabic“-Fall endgültig und befriedigend 
beigelegt worden ist, so wünsche ich doch, Sie von Vorstehendem in neunt- 
nis zu sepen, da meine Regierung sich zu diesem Verfahren schon vor Ein- 
tritt des „Arabic“-Falles entschlossen hatte. gez. Bernstorff. 
Notenwechsel zwischen Österreich-Ungarn und den Ver- 
einigten Staaten über die Waffenlieferungen an die 
Alliierten. 
29. Juni. Der österreichisch-ungarische Minister des Außeren 
Baron Burian überreicht dem Botschafter der Vereinigten Staaten 
in Wien folgende Note: 
Die tiefgreifenden Wirkungen, welche sich aus der Tatsache ergeben, 
daß sich seit geraumer Zeit zwischen den Vereinigen Staaten von Amerika 
einerseits und Großbritannien und dessen Verbündeten andererseits ein 
Handelsverkehr mit Rriegsbedarf in größtem Umfange abspielt, während 
Oesterreich-Ungarn, desgleichen Deutschland, vom amerikanischen Markte 
völlig abgeschlossen sind, haben von Anfang an die ernsteste Aufmerksamkeit 
der k. und k. Regierung auf sich gezogen. Wenn nun der Unterzeichnete 
sich erlaubt, in dieser Frage, mit welcher das Washingtoner RKabinett bis- 
her bloß von der kaiserlich deutschen Regierung befaßt worden ist, das 
Wort zu nehmen, so folgt er hierbei dem Gebot der unabweislichen Pflicht, 
die ihm anvertranten Interessen vor weiterer schwerer Schädigung zu 
wahren, die aus dieser Lage gleichwie für das Deutsche Reich so auch für 
Oesterreich-Ungarn erwächst. Ist auch die k. und k. Regierung durchaus 
davon überzengt, daß die Haltung, welche die Bundesregierung in dieser 
Angelegenheit einnimmt, keiner anderen Absicht entspringt als der, die 
strikteste Neutralilät zu wahren und sich in dieser Beziehung den in Be- 
tracht kommenden Bestimmungen der internationalen Verträge bis aufs den 
Buchstaben anzupassen, so drängt sich ihr doch die Frage auf, ob die Ver- 
hällnisse, wie sie sich im Laufe des Krieges — gewiß unabhängig vom 
Millen der Bundesregierung — herausgebildet haben, nicht derart beschaffen 
sind, daß die Intentionen des Washingtoner Kabinetts ihrer Wirkung nach 
durchkreuzt, ja gerade zu ins Gegenteil verkehrt werden. Wird aber diese 
Frage belaht, und ihre Bejahung kann nach Meinung der k. und k. Regie- 
rung nicht zweifelhaft sein, dann knüpft sich hieran von selbst die weitere 
Frage, ob es nicht möglich, ja sogar geboten erscheint, daß Maßnahmen 
ergriffen werden, die geeignet sind, dem Wunsche der Bundesregierung, 
beiden Kriegsparteien gegenüber eine streng paritätische Haltung einzu- 
nehmen, volle Geltung zu verschaffen. 
Die k. und k. Regierung zögert nicht, auch diese Frage unbedingt zu 
bejahen. Der amerikanischen Regierung, die an dem Haager Werk in so 
hervorragender Weise mitgewirkt hat, ist es sicherlich nicht entgangen, daß 
sich Wesen und Inhalt der Neutralität in den fragmentarischen Vorschriften 
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