1396 Anhang: Diplomatisqe Enthũlungen.
muß. Es geht um unser Volk! Es geht um die monarchische Grundlage
des Reiches und der Bundesstaaten. — beschwöre ich Ew. Exz. im
vollen Einverständnis mit meinen politischen Freunden, den furchtbaren
Gefahren dadurch entgegenzuarbeiten, daß Sie einen Frieden erzielen, der
unserem Volke bringt, was es verdient, worauf es Anspruch hat. Die
Tragik darf nicht Wirklichkeit werden, daß unser Volk zerfällt, nachdem es
das Ungeheuerste geleistet hat. Noch bitte ich Ew. Exz. zur Kenntnis iu
nehmen, daß ich Abschriften der „Forderungen zum Kriegsziel“ und dieses
meines Schreibens den Hohen Bundesstaatlichen Regierungen zu unter-
breiten beauftragt bin.
Ehrerbietigst Ew. Exz. ganz ergebenster
gez. Frhr. v. Gebsattel.
Der Reichskanzler erwidert:
Der Reichskanzler. Berlin, den 13. Mai 1915.
Ew. Exz. beehre ich mich, den Empfang Ihres hier am 6. Mai d. J.
eingegangenen Schreibens zu bestätigen. Die vom A. V. aufgestellten For-
derungen zum Kriegsziel werden nach der völligen Niederwerfung aller
unserer Gegner zu würdigen sein. Für den Augenblick verbieten die Inter-
essen der auswärtigen Politik und der Landesverteidigung, die allen andern
Rücksichten voranzugehen haben, ein Eingehen auf ihren sachlichen Inhalt.
Ew. Exz. wagen in dem Begleitschreiben, in dem Sie mir namens des
A. V. diese Forderungen übersenden, auszusprechen, daß die Stimmung in
den breitesten Schichten unseres Volkes erbittert, ja, der Berzweiflung nahe
sei, weil die Reichsregierung das Kriegsziel zu enge gesteckt habe und auf
eine Ausnutzung unseres sichern Sieges verzichten würde. Sie scheuen des
weitern nicht davor zurück, auszusagen, daß das nach solchen Leistungen
enttäuschte Volk sich erheben und die Monarchie stürzen würde, wenn nicht
als einzig wirksames Ableitungsmittel ein Friede erreicht wird, der die
Notwendigkeiten des Volkes nach jeder Richtung hin, das heißt wie der
A. V. sie versteht, erfüllt. Darauf entgegne ich: Ich lasse das Verdienn
gelten, das der A. V. durch die Hebung des nationalen Machtwillens und
die Bekämpfung der Völkerverbrüderungsideologie sich vor dem Kriege er-
rungen hat. Leider aber hat er diesen nationalen Willen mit soviel Mangel
an politischer Einsicht verbunden, daß er schon in der Zeit vor dem Kriege
das politische Geschäft des öftern erschwert und jede Regierung, die sich
nicht die Fensterscheiben zerschlagen lassen will, zu einer Gegnerschaft gegen
ihn gezwungen hat.
Der Krieg und seine Erfahrungen haben zwar den nationalen Macht-
willen, auf dessen Hebung sich das Existenzrecht des A. V. gründet, zum
Gemeingut des deutschen Volkes gemacht, den Mangel an politischer Ein-
sicht in den Kreisen des A. V. indes, wie ich dem Schreiben Ew. Exz. eni-
nehme, nicht behoben, sondern ins Groteske gesteigert. Die treu mon-
archischen Kreise, die Ew. Exz. vertreten wollen, würden ihre Pflicht gegen
die Krone aufs gröblichste verletzen, wenn sie, statt abzuwarten, bis die
Regierung den Moment der offenen Sprache für gekommen hält, im Volke
eine Unruhe über eine nicht vorhandene, durch nichts bewiesene flaue und
kleinmütige Politik zu schüren versuchten. Nach Ew. Exz. Worten soll
diese Unruhe bis zur Erbitterung, ja zur Verzweiflung und zu drohenden
Hinweisen auf Revolution gestiegen sein. Hier gibt es nur zwei Möglich-
keiten: Entweder ist das wahr, dann trifft die Verantwortung jene, die
diese Stimmung durch Mangel an politischem Urteil und nationaler
Disziplin trotz aller unmißverständlichen Erklärungen der Regierung ge-
schürt haben, statt ihr entgegenzutreten, oder diese Behauptung ist falsch.
dann muß ich in ihr eine Drohung und den Versuch einer Minderheit er-