Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

1404 Auha#s: Biplemstische Euthüllnzen. 
wieder auf annähernd 1000000 Tonnen gestiegen, d. h. sie hat sich an- 
nähernd verdoppelt. Die monatliche Stahlherstellung ist auf mehr als 
1000000 Tonnen gestiegen. 
Dabei herrscht in Roheisen und Stahl kein Ueberfluß, sondern Mangel 
im Inland und noch mehr im neutralen Ausland. · 
Die Granatfabrikation erfordert Eisen- und Stahlmengen in einen 
Umfange, von dem sich früher nur wenige einen Begriff gemacht haben. Allein 
für die Graugußgranaten, den minderwertigen Ersatz von gezogenen und 
Stahlgußgranaten, sind Roheisenmengen von mindestens 1000 Tonnen täg- 
lich in den letzten Monaten verwandt worden. Genaue Zahlen liegen daruber 
im Augenblick nicht vor. Soviel ist aber sicher, daß ohne die Verdoppelung 
der Roheisen= und Stahlproduktion gegenüber dem Monat August eine Fo## 
führung des Krieges unmöglich wäre. 
Als Grundstoff für die Herstellung dieser Roheisen= und Stahlmengen 
tritt in zunehmendem Maße die Minette in den Vordergrund, denn nur 
dieses Erz kann in stark steigenden Mengen im Inland gewonnen werden. 
Die Produktion der anderen heimischen Gebiete ist sehr stark beschränkt, 
und die überseeische Zufuhr, selbst der schwedischen Erze ist so erschwert, 
daß an vielen Stellen auch außerhalb Luxemburg-Lothringen zurzeit die 
Minette 60 bis 80 Proz, der Roheisen= bezw. Stahlherstellung deckt. Würde 
die Minettegewinnung gestört, so wäre der Krieg so gut wie verloren. 
Wie aber steht es mit der Gewinnung der Minette in diesem nriege. 
wie in einem zukünftigen Kriege? 
Wenn die Festung Longwy mit den zahlreichen umliegenden französischen 
Hochofenwerken den Franzosen zurückgegeben würde, so würden in einem 
neuen Kriege mit einigen weittragenden Geschützen folgende deutsche und 
luxemburgische Werke in wenigen Stunden zum Erliegen zu bringen sein: 
  
Rodingen . . . . 7 km Entfernung 
Differdingen 10 „ „ 
Esch 16—17 „ „ 
Oettingen 21 „ „ von Longwy. 
Rümelingen 21 „ „ 
Düdelingen 25 „ „ 
Damit würden allein schätzungsweise 20 Proz, der deutschen Roheisen-Stahl- 
produktion fortfallen. 
Ein Blick auf die Karte zeigt aber auch weiter, daß z. B. Jarny (die 
Minettegrube des Phönix) 33 Kilomcter von Verdun entfernt liegt, und 
daß die westlichen Erzkonzessionen bei Landers und Conflans auf höchstens 
26 Kilometer an Verdun heranreichen. Wir beschießen heute Dünkirchen 
auf 38 Kilometer Entfernung. Glaubt jemand, daß die Franzosen auch 
bei einem nächsten Krieg versäumen würden, weittragende Geschütze in 
Longwy und Verdun aufzustellen, um für uns die Erzgewinnung und 
Roheisenerzeugung weitergehen zu lassen? 
Beiläufig sei bemerkt, daß die hohe Stahlgewinnung aus Minette 
zugleich die alleinige Möglichkeit bietet, bei abgesperrter Poosphatzufahr 
der deutschen Landwirtschaft die nötige Phosphorsäure zu liefern. 
Die Sicherstellung des Deutschen Reiches zu einem zukünftigen Kriege 
erfordert also gebieterisch den Besitz des gesamten Minettevorkommens, 
einschließlich der Festungen Longwy und Verdun, ohne die dieses Gebiet 
nicht zu halten ist. 
Der Besitz größerer Mengen Kohle und ganz besonders von bitumen- 
reicher Kohle, die in großen Mengen in den nordfranzösischen Becken vor- 
kommt, ist in mindestens gleichem Maße wie Eisenerz ausschlaggebend für 
den Ausgang des Krieges.
	        
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