Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

784 Großbritannien. (Juni 29.) 
29. Juni. Sir Edward Grey nimmt seine Arbeit als Staats- 
sekretär im Auswärtigen wieder auf. 
29. Juni. In einer Versammlung von Finanzleuten in der 
Guildhall hielt Asquith eine Rede für die neue Kriegsanleihe. 
Asquith sagt u. a.: Alle Klassen des Staates einschließlich derjenigen, 
deren Mittel die beschränktesten sind, möchten dem Staate zu Hilfe kommen 
und dem höchsten nationalen Appell antworten. Es handle sich nicht nur 
um den persönlichen Schutz gegen feindliche Absichten und Angriffe auf 
unseren Handel, sondern um Fragen, welche die Zukunft der ganzen Mensch- 
heit betreffen. Durch was soll die Menschheit künftig geleitet werden, durch 
das Recht oder die Gewalt? Das Gedeihen und der Luxus einer mühe- 
losen und durch Kunst und Literatur verschönten Existenz lasse sich erkaufen. 
Aber wenn der Preis, den man bezahlen muß, in allem besteht, was unser 
persönliches und nationales Leben wert macht, gelebt zu werden, dann 
weigern wir uns, dieses Opfer zu bringen, und ziehen es vor, bis zum 
Ende zu kämpfen, bis zum letzten Penny, bis zur letzten Unze unserer Kraft 
und bis zum letzten Tropfen unseres Blutes. 
29. Juni. (Unterhaus.) Zweite Lesung der Munitionsbill. 
Bei der zweiten Lesung der Munitionsbill im Unterhaus sagte Mac 
Neill (Unionist), er zweifle daran, daß die Bestimmungen der Bill aus- 
reichten, und kritisierte die große Verzögerung einer solchen Gesetzgebung. 
Lloyd George habe neulich gesagt, man brauche acht bis neun Monate, um 
Werke zur Herstellung von Gewehren zu gründen; Lloyd George habe 
ferner mitgeteilt, daß, während die Zentralmächte vermutlich die Grenzen 
ihrer Produktion erreicht hätten, wir eben erst die Schwelle unserer Mög- 
lichkeiten überschritten hätten, und dies nach zehn Kriegsmonaten. Die 
Munitionsbill sei zugestandenermaßen nur ein Experiment. Ob sie Zeit 
hätten, Experimente zu machen? Der Redner trat für den Staatszwang ein. 
Houston (Unionist) sagte, French und die Armee hätten seit Monaten 
dringend mehr Munition gefordert. Lloyd George scheine allein unter den 
Ministern den Mut zu haben, der Nation die Wahrheit zu sagen. Der 
Mangel an Munition und Geschützen sei unerhört schimpflich. Die bis- 
herige geringe Anteilnahme im Lande sei die Schuld des Zensors, der die 
Wahrheit schimpflich verheimliche. Das Kriegsministerium, so fuhr er fort, 
glaubte wahrscheinlich, daß wir uns durch den Krieg fortwursteln könnten, 
wie im Burenkriege. Aber die heutige Lage ist eine ganz andere. Nie- 
mals in der ganzen Geschichte unseres Landes war die Lage so verzweifelt. 
Die frühere Regierung hat alles getan, um das Land durch eine falsche 
Sicherheit zu chloroformieren. Jetzt haben wir die Koalition, weil das 
Kriegsministerium, in den eigenen Bürokratismus verstrickt, über der Muni- 
tionsfrage zusammenbrach. Die neue Regierung muß die ganze und volle 
Wahrheit sagen. Die Lage bedeutet nach elf Kriegsmonaten ein reines 
Patt. Die Deutschen sehen nicht aus, als wären sie im Osten geschlagen. 
Wenn es ihnen gelingt, die Russen zurückzutreiben, so könnten sie Truppen 
an die Westfront senden, auf Calais losgehen und von dort Dover und 
Folkestone mit schweren Geschützen beschießen und unter der Deckung dieser 
Beschießung einen Luftangriff oder einen Einfall in England versuchen. 
Man spricht nur von einem Schutze durch unsere Flotte, aber Gallipoli 
lehrt, was die Flotte tun kann und was nicht. 
Der Sprecher forderte den Redner auf, zur Munitionsbill zu sprechen. 
Houston fuhr fort und warnte Lloyd George vor engen Beziehungen 
des Kriegsministeriums und der Admiralität mit den Waffenfirmen und
	        
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