Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

790 Großbritannien. (Juli 6. 8.) 
tung der Regierung betreffs des Krieges zeigten. Reden wie die Curzons 
ließen erkennen, daß die Regierung entschlossen sei, das Volk nicht länger 
im Zweifel zu lassen, daß die Maske abgenommen und der Ernst der Lage 
völlig dargelegt werden solle. Die Kriegsschuld würde März 1916, wenn 
der Krieg dann beendet wäre, 1293 Millionen Pfund betragen, die Zinsen 
würden 58194000, die Kriegspensionen etwa 19 Millionen Pfund Ster- 
ling ausmachen. Demgegenüber ständen, vorausgesetzt, daß die Verbündeten 
und die Dominions alle aus den Anleihen entstandenen Verpflichtungen 
erfüllten, nur 62750000 Pfund zur Verfügung, so daß ein jährliches 
Defizit von 14250000 Pfund vorhanden sein würde. Dabei fehlten Maß- 
nahmen zur Abtragung der neuen Schuld. Midleton kritisiert die einzelnen. 
Ressorts und greift die Finanzpolitik der liberalen Regierung, namentlich 
die Ausgaben für Sozialpolitik und Schulpolitik an und sagt: Wir scheinen 
ebensowenig finanzielle wie militärische Vorbereitungen für den Krieg ge- 
troffen zu haben. — Lord Lansdowne stimmt im allgemeinen den Aus- 
führungen Middletons zu. — Lord Staldwyn tadelt, daß der Schatzkanzler 
nicht sofort bei Kriegsbeginn die Besteuerung erhöht habe. 
Lord Haldane stimmt der Ansicht zu, daß die Ministerien sehr ver- 
schwenderisch wirtschafteten, aber die Debatte mache den Eindruck, als ob 
es nach dem Kriege genügen werde neue Steuern zu erheben und im 
übrigen fortzufahren wie bisher. England werde indessen nach dem 
Kriege ein ganz anderes, weil viel ärmeres Land sein. Es 
werde die Vorteile des Prestiges, der Vergangenheit und der 
Tradition verloren haben, die England eine einzigartige Stellung 
im Handel und in der Industrie gegeben hätten und die es bis jetzt ge- 
nossen hätte, weil es sie in Besitz hatte, ohne daß Rivalen hineinkommen 
konnten. Jetzt aber würden die Rivalen ins Feld einbrechen. England 
werde nicht so viel Ueberfluß an Kapital haben als andere Länder. Die 
Kaufleute und Industriellen würden auf ihre eigenen Hilfsquellen, auf ihr 
eigenes Geschick, ihre Findigkeit und ihren Unternehmungsgeist angewiesen 
sein. Es sei daher notwendig, sich jetzt darauf vorzubereiten. Eine bessere 
Erziehung sei nötig. Die Kaufleute und Industriellen müßten eine bessere 
Vorbildung erhalten, wenn sie sich gegen die neue Konkurrenz behaupten 
sollten. Sparsamkeit müsse aufs entschiedenste geübt werden, aber im Schul- 
wesen ebensowenig wie bei den Armeen an der Front. 
Der Ackerbauminister Lord Selborne sprach noch zu der Vorlage 
betr. die Einschränkung der Rindviehschlachtungen: Es liegt eine 
gewisse Gefahr vor, daß die Fleischversorgung vom Ausland her beein- 
trächtigt werden kann. Aus diesem Grunde wünscht die Regierung eine 
Einschränkung der Schlachtungen durchzuführen, um die Viehbestände auf- 
rechtzuerhalten. Einer der Gründe, die zu einer Einschränkung der über- 
seeischen Fleischversorgung beitragen dürften, ist die Unterseebootsgefahr. 
Es ist bewundernswert, wie es unsere Handelsmarine zum großen Teil 
fertiggebracht hat, den deutschen Tauchbooten zu entgehen. Aber die Tat- 
sache ist auch nicht aus der Welt zu schaffen, daß die deutschen Untersee- 
boote ihren ständigen Tribut nehmen. Je länger der Krieg dauert, desto 
größer wird auch die Zahl der Unterseeboote werden, die mit dieser Zer— 
störungsarbeit beschäftigt sind. Es ist wahrscheinlich, daß die Deutschen ihre 
gesamten Schiffswerften zum Bau von Unterseebooten heranziehen. Des- 
halb müssen wir mit der Vergrößerung der deutschen Unterseebootsgefahr 
rechnen. Es wird keinesfalls die Schuld der deutschen Regierung sein, wenn 
es den Unterseebooten nicht gelingt, unserer Handelsslotte den Todesstreich 
zu versetzen und wenn nicht besonders der Teil der Flotte getroffen wird, 
der dieses Land mit Nahrung versorgt. Als vernünftige Menschen müssen
	        
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