Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

Die ãsterreiisq ·nugarise Menathie. (Juni: 12. - 16.) 113 
mit Patenten, nicht durch eine Oligarchie, und wenn sie selbst eine Aristo- 
kratie im besten Sinne wäre, ist dem Volke zu helfen; es muß eine Formel 
geben, unter welcher die österreichischen Nationen in einem staatlichen 
Gemeinleben miteinander ihre nationale Selbstbestimmung finden werden. 
Die große Kulturmission der Deutschen in Oesterreich liegt nicht darin, 
daß sie den nationalen Einheitsstaat gründen, sondern die Verbindung der 
übrigen Völker, die zum Teil nach dem Westen, zum Teil nach dem Hien 
gerichtet sind, mit der westlichen Kultur aufrechterhalten und pflegen, a#en 
als ihre Beherrscher, sondern als primi inter pares, als diejenigen, welche 
ihnen ihr geistiges Erbe gerne zur Verfügung stellen. 
Abg. Smeral (tschech. Soz.) bezeichnet als die erste und wichtigste 
Frage der heutigen Zeit die Friedensfrage. Ohne unsere Kraft zu über- 
schätzen, geloben wir Vertreter des tschechischen Proletariats feierlichst, daß 
wir jedes Mittel ergreifen werden, um bei der Regierung dem Willen des 
Volkes völlige Geltung zu verschaffen und die Regierung im Sinne dieses 
Volkswillens zu allen Maßnahmen und Entscheidungen zu drängen, die es 
ermöglichen, aus dem Weltkriege herauszukommen und ehetunlichst einen 
Frieden zu schließen, der für niemand kränkend und demütigend ist. Eben 
weil wir auf dem Boden des Staatsgedankens vorbehaltlos stehen, haben 
wir die Legitimation und gleichzeitig die Verpflichtung, an einer Um- 
änderung der Reichsverfassung zu arbeiten, wie sie das Wesen der Ver- 
hältnisse der neuen Zeit und die Bedürfnisse der Nation erheischen. In 
diesem Zusammenhange wollen die Herren auf den deutschen Bänken in 
Ruhe über die Situation nachdenken, welche der tschechische Klub geschaffen 
hat, als er zum Ziele seiner Politik die Erreichung eines selbständigen 
tschechischen Staates im Rahmen der Monarchie erklärte. Das ist keines- 
wegs ein Gedanke, bei dem wir bei ruhiger Ueberlegung uns nicht treffen 
könnten. Der Gedanke einer föderativen Gestaltung des Reiches stärkt 
nicht die nationalen Leidenschaften, sondern schwächt sie ab. Wir wollen 
im Wege des Ausgleiches zu grundlegenden Aenderungen der Verfassun 
des Staates gelangen, wir wollen im Wege des Ausgleiches erreichen, daß 
die demokratischen Elemente aller Nationen endlich zur Mitarbeit und Mit- 
herrschaft kommen. Dazu ist ein in sich starkes Parlament und ein auf 
diesem Parlament fußendes Regierungssystem die unbedingte Voraussetzung, 
denn nur ein solches Parlament und eine aus ihm hervorgegangene Re- 
gierung sind imstande, die wahren Bedürfnisse und die wahren Verhältnisse 
aller Schichten der Bevölkerung zu erkennen, nur ein solches System ist 
imstande, den Ausgleich herbeizuführen, ungestört von den Machtgelüsten 
einzelner Fraktionen. Es gibt für uns alle keinen anderen Ausweg als 
den Weg der gegenseitigen Verhandlung und des gegenseitigen Ausgleiches. 
Aus prinzipiellen Gründen werden wir gegen alle politischen Vorlagen der 
Regierung stimmen, auch gegen das Budgetprovisorium. Gleichzeitig aber 
sind wir entschlossen, mit größter Gewissenhaftigkeit die Konzentration der 
Kräfte im Hause zur Erhöhung seiner Leistungsfähigkeit zu fördern. 
Abg. Dr. Damm (Deutschnat.): Entgegen allen Prophezeiungen hat 
Lgerade dieser Weltkrieg einen schlagenden Beweis für die Lebenskraft unserer 
Monarchie erbracht. Stärker als alle irredentistischen Anwandlungen, als 
die Ungeschicklichkeiten mancher österr. Staatsmänner haben sich die Kräfte 
erwiesen, die diesen Staat zusammenhalten. Unser Staat mit der Ent- 
wicklung eines Jahrtausends ist eben kein künstlich zusammengesetztes Mosaik- 
werk, sondern ein organisches Gebilde, das eigenen Gesetzen gehorcht. Mit 
niegeahnter Kraft kommt der Lebenswille des Staates zum Ausdruck und 
weckt die Hoffnung, daß an Stelle des Parteigezänkes, an Stelle des seit 
Beginn der freiheitlichen Entwicklung in Oesterreich geführten Lampfes der 
Europäischer Geschichtskalender. LVIII 2.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.