114 Vie ãsterrrichisqh·angarise Moenarqhie. (Juni 12. - 16.)
Nationen gegen den Staat ein alle Völker fest umschließender, unvergäng-
licher, unantastbarer Staatsgedanke zum Durchbruche kommen wird. Das
deutsche Bolk in Oesterreich hat die Bedeutung der heutigen Ereignisse voll-
ständig erkannt. Das Bekenntnis zu Oesterreich, das uns stets eine dyna-
stische und patriotische Pflicht gewesen ist, es bekommt auch seinen natio-
nalen Inhalt. Zu einer innigen Lebensgemeinschaft, ja geradezu zu einer
Schicksalsgemeinschaft sind beide Monarchien Mitteleuropas fest aneinander
gekittet. Wie Oesterreich nicht bestehen kann, wenn es an Deutschland nicht
seine Rückendeckung findet, so ist Oesterreich-Ungarn als starker Staat
andererseits die Voraussetzung für den Bestand des Deutschen Reiches.
Unsere Parole muß lauten: Hin zum Staat! Deutsch sein in Oesterreich
heißt Oesterreicher sein.
Abg. Dr. Lazarski (Pole) gibt folgende Erklärung ab: Mitten im
gigantischen Kriege, wo Staaten verschwinden, Throne wanken und Nationen.
durcheinandergerüttelt werden, ist durch die Macht der weltgeschichtlichen
Kriegsereignisse auch die polnische Frage wieder in die Oeffentlichkeit
getreten. Polen rüstet sich, seine Auferstehung zu feiern. Und da ist es
unsere Pflicht, als Mitglieder der polnischen Nation das Wort zu ergreifen,
damit die Welt nicht über uns, ohne uns zu hören, ernste Beschlüsse faßt
und folgenschwere Verfügungen trifft. In den Annalen der Völker und
Staaten ist Polen seit Jahrhunderten rühmlich eingetragen. Vor nahezu.
anderthalb Jahrhunderten ist der polnische Staat im ungleichen Kampie
gegen die Uebermacht feindlicher Expansivpolitik gefallen. Das poln. Reich
wurde aus der Liste der selbständigen Staaten gestrichen, doch das poln.
Volk konnte trotz schrecklichster und beispiellosester Bedrückung nicht aus-
gerottet werden. Es lebt, es entfaltet sich, es wächst an Zahl, Kraft und
Selbstbewußtsein. Seit der Zerstücklung des poln. Staates hat jedes Ge-
schlecht unserer Nation nach dem Schwerte der Altvorderen gegriffen, um
die Fesseln zu sprengen. In einer ununterbrochenen Reihenfolge der Auf-
stände hatte das polnische Volk für die Wiedererlangung seiner Freiheit
unzähligemale Ströme von Blut seiner edelsten Söhne vergossen. Die
kampferprobten und ruhmgekrönten Legionäre, welche im gegenwärtigen
Weltkriege zu den Waffen griffen, um, auf Seite Oesterreichs kämpfend,
die russische Tyrannei zu brechen, liefern den unwiderlegbarsten Beweis
unserer getreuesten Pflichterfüllung. Von den Gefühlen glühendster Vater-
landsliebe beseelt, durchdrungen von der Gerechtigkeit der unverjährbaren
Ansprüche auf ein selbständiges Staatswesen und in Anbetracht der schwer-
wiegenden Ereignisse, durch welche neue Staatenordnungen in Europa ge-
schaffen werden sollen, hat die poln. Nation durch die Plenarversammlung
der poln. Reichsrats- und Landtagsabgeordneten in der denkwürdigen Ver-
sammlung vom 28. Mai 1917 in Krakau (s. S. 81) die bekannte Reso-
lution beschlossen. Für unsere Politik ist diese Resolution, welche ein
geeintes unabhängiges Polen verlangt und das vitale Streben des ganzen
polnischen Volkes kundgibt, wesentlich und richtunggebend. Die großen
Ideen dieser Resolution, die die innigsten Wünsche und Gefühle des pol-
nischen Volkes zum Ausdrucke bringt, werden wir immer hochhalten, ohne
dadurch irgendwie die Konsolidierung der staatsbildenden Arbeit im König-
reiche Polen stören zu wollen, denn diese Resolution entspricht dem natio-
nalen Ideal und ist der Leitstern für unsere Bestrebungen in staatsrecht-
licher Hinsicht. Wir verkennen nicht den Umstand, daß die Politik nur
das Mögliche und Erreichbare, nicht aber das Maximum des Wünschens-
werten anstreben kann, und als Staatsbürger von Oesterreich sind
wir uns wohl bewußt unserer Pflichten gegenüber der Monarchie,
die wir ja stets loyal erfüllt und geleistet haben. Unsere Ideale wider-