Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

308 Greßbritannien. (Juli 21.) 
lage als Antwort auf die Rede des deutschen Reichskanzlers 
(Tl. 1 S. 703 ff.) abzugeben. Bei einer vaterländischen Kundgebung in Oueens 
Hall hält Lloyd George folgende Rede: Wir sind heute hier am Jahres- 
tage der Unabhängigkeitserklärung eines Volkes versammelt, das der Un- 
abhängigkeit Europas unvergängliche Dienste geleistet hat. Die Welt wird die 
Dienste, die Belgien dem internationalen Recht geleistet hat, niemals ver- 
gessen. Die Hälfte der großen Schlachten der letzten Jahrhunderte sind auf 
Ihrem Boden geschlagen worden. Belgien ist der Torweg zwischen den Mittel- 
mächten und dem Westen. Ein moderner Staatsmann hat den Plan ge- 
faßt, Belgien, wenn ich mich so ausdrücken darf, außerhalb der Schranken 
zu stellen und so die Freiheif Europas zu bewahren, indem es dem an- 
griffslustigen Frankreich unmöglich gemacht wurde, Deutschland zu zerstören, 
und dem angriffslustigen Deutschland, Frankreich zu vernichten. Der belg. Neu- 
tralitätsvertrag war einer der Schlußsteine des europäischen Rechtes. Belgien 
war der Torwächter europäischer Freiheit, das höchste, schwerste, gefährlichste 
Amt, das je einem Volk übertragen wurde. Die Belgier haben ihre Pflicht 
gegen Europa treu und loyal erfüllt. Ich möchte ein geschichtliches Schrift- 
stück zitieren, das einen Teil der Weltgeschichte bildet, die Antwort der 
belg. Regierung auf das deutsche Ultimatum. Nichts stellt klarer nicht nur 
die Pflicht Belgiens gegen Europa, sondern auch die Art und Weise fest, 
wie Belgien diese Pflicht erfüllt hat. „Hätte die belg. Regierung den ihr 
gemachten Vorschlag angenommen, so hätte sie die Ehre der Nation geopfert 
und ihre Pflicht gegen Europa verraten.“ Eine große Antwort! Und in 
großartiger Weise ist sie gehalten worden. Welcher Art war der deutsche 
Vorschlag? Es war der Vorschlag eines Mörders, der sich einem Manne 
nähert und ihm sagt: Oeffne mir Deine Tür, damit ich Deinen friedlichen 
Nachbar berauben kann. Was für ein Gemüt müssen die Männer besitzen, 
die jemandem eine solche Gemeinheit vorschlagen. Belgien als ehrenwertes 
Volk wies den Vorschlag mit Verachtung zurück, und sein Name wird für 
ewig in der Weltgeschichte groß dastehen. Aber Belgien litt dafür, daß es 
seine hohe Pflicht und sein hohes Amt erfüllte. Es litt unter der unge3zügelten 
Wildheit des Eroberers, der Männer, die in Frankreich und Belgien Greuel 
begangen haben, wie Attila sie nicht raffinierter ausdenken konnte, der See- 
piraten, die unbewaffnete Handelsschiffe und Passagierdampfer versenken 
und Frauen und Kinder ertränken. Ihre Wut fand drei Jahre lang ihren 
Mittelpunkt in Belgien. Drei Jahre der Unterdrückung, der Erniedrigung, 
der Sklaverei, der Furcht und Todesangst. Aber, endlich wird Belgien 
größer sein, als es je gewesen ist. Sein Opfer wird seine Erziehung sein, 
seine Standhaftigkeit seine Erlösung. Wie sein heldenmütiger König sagt: 
„Ein Land, das sich selbst verteidigt, wird von allen geachtet. Dies Land 
wird nicht untergehen.“ Selbst drei Jahre der Todesangst sind nicht lang 
im Leben einer Nation, und die Erlösung Belgiens kommt sicher, aber wenn 
sie kommt, muß die Erlösung eine vollständige sein. Frankreich schuldet 
ihm das, England schuldet ihm das, Europa schuldet ihm das, die Zivili- 
sation der Welt schuldet ihm das, daß Belgiens Erlösung vollkommen ist, 
wenn sie kommt. 
Aber was haben wir unterdessen? Einen neuen Kanzler in Deutsch- 
land. Die Junker haben den alten Kanzler mit seinem „Fetzen Papier" 
in den Papierkorb geworfen und da liegen sie Seite an Seite. Wir werden 
nicht lange zu warten haben, bis das Junkertum folgen wird. Welche 
Hoffnung für den Frieden findet sich in seiner Rede? Ich meine, für einen 
ehrenvollen Frieden, den einzig möglichen Frieden. Es ist eine geschickte 
Rede, eine Rede, die sich nach allen Seiten wendet. Sie enthält Sätze für 
die, die ernstlich den Frieden wünschen, viele Sätze, aber es sind Sätze
	        
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