Großbritannien. (Juli 30.) 323
viel unproduktiver machen wird, als es in unserer Zeit und der Zeit unserer
Großväter und Urgroßväter der Fall war.
Wie kann nun dieses Ziel erreicht werden? Wie wollen wir mit den
großen alten Monarchien wie Oesterreich verfahren? Wie werden Oester-
reich und Deutschland ihre inneren Probleme lösen, die sie selbst und nie-
mand anders lösen muß? Niemand kann dies in diesem Hause und im
gegenwärtigen Stadium des Krieges wirksam erörtern. Ein Wort über
die Demokratisierung Deutschlands. Wir alle hoffen, daß die Autokratie
in Deutschland einer freien Regisrung Platz machen werde und daß parla-
mentarische Einrichtungen, wie wir den Begriff parlamentarisch verstehen,
geschaffen werden. Es ist von maßgebender Seite erklärt worden, daß es
schwer sei, über einen dauernden Frieden zu verhandeln, wenn man nicht
mit einem Gemeinwesen zu tun hat, das auf dem Volkswillen beruht und
nicht durch die finsteren Pläne einer Weltherrschaft korrumpiert ist. Aber
das bedeutet nicht, daß jemand so töricht sei, anzunehmen, daß man Deutsch-
land von außen her eine Verfassung auferlegen könne. Deutschland muß
sein Heil selbst suchen. Die Nationen müssen ihre Freiheitspläne selbst
suchen gemäß ihren eigenen Ideen, ihrer Geschichte, ihrem Charakter und
ihren Hoffnungen für die Zukunft. Aber wenn es wahr ist, daß die große
Macht des deutschen Imperialismus auf dem Glauben beruhe, daß Deutsch-
land nur unter dem imperialistischen System groß, mächtig und reich sein
tann, dann kännen leicht, wenn die Erfahrung lehrt, daß das imperialistische
System nicht nur zu einer Zeit zum Triumph führen kann, sondern zu
einer anderen unvermeidlich zu einem ebenso großen Unheil führen muß,
die Ideen, die im Jahre 1848 einen so mächtigen Ausdruck gefunden haben
und die alle deutschen Denker länger als eine Generation bis zur Herr-
schaft Bismarcks beseelt haben, mit neuem Glanz und neuer Kraft wieder
aufleben, und dann wird Deutschland mit seiner ganzen Macht der Organi-
sation und seiner ganzen ererbten Bildung an der Seite der Nationen
stehen, die vor dem Kriege sich kaum vorstellen konnten, wie ein Weltkrieg
dieser Art absichtlich herausgefordert werden konnte, um wirtschaftliche und
volitische Interessen eines Staatswesens zu fördern. Wenn Deutschland in
dieser Hinsicht das Niveau der Ver. Staaten und Großbritanniens erreicht
hat, so darf man hoffen, daß jedenfalls einer der großen Friedensstörer
der europäischen Geschichte ausgeschaltet ist. Ich weiß nicht, wer es wagen
will, zu sagen, daß, wenn man auf die innere Lage Deutschlands blickt,
soweit das augenblicklich möglich ist, die Ideen, von denen ich gesprochen
habe, in der Weise wachsen, daß sie zu der Hoffnung berechtigen, daß wir
selbst ihren Sieg erleben werden. Ich bin sicher, daß, wenn es nicht dazu
kommt, es auch keine Sicherheit für Europa geben wird. Ich glaube nicht,
daß der europäische Friede gesichert werden kann, ehe Deutschland nicht
los oder frei gemacht ist.
Hierauf fragt Holt (Lib.), ob die Regierung im Einvernehmen mit
den Alliierten nicht durch die in Betracht kommenden diplomatischen Kanäle
in Deutschland in aller Form die Frage stellen könnte, ob es bereit sei,
Belgien, Frankreich und die andern besetzten Länder zu räumen und zu
entschädigen. — Ponsonby (Lib.) sagt, B. habe, anstatt sich auf All-
gemeinheiten zu beschränken, großen und ungebührlichen Nachdruck auf
die elsaßlothringische Frage gelegt. — Balfour antwortet: Ich habe
lediglich im Laufe der Debatte auf frühere Reden geantwortet. Pon-
sonby darf nicht sagen, daß ich auf irgendeinen besonderen Gegenstand
ungebührlichen Nachdruck gelegt habe. Die Rede war nicht als Ueberblick
über die ganze Lage gedacht. (Die Erwiderung der „Nordd. Allg. Ztg.“"“
s. Tl. 1 S. 739 f.)
217