Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

Graßbriiannien. (November 6.) 351 
Aber anerkannt deutsches Gebiet wegzunehmen und vom Deutschen 
Reiche loszureißen, sei niemals das Ziel der Alliierten gewesen, 
und kein Vertrag, welcher sie zusammenbindet, habe auch nur einen Augen- 
blick die Anregung gegeben, daß es das Ziel wäre, für das sie kämpfen 
müßten. Man könnte aus den gehaltenen Reden schließen, daß die Regie- 
rung plötzlich zu dem Schlusse gekommen sei, daß von allen erklärten 
Kriegszielen Elsaß-Lothringen eine besondere Einzelstellung einnehme 
und mit irgendwelchen anderen Kriegszielen nicht in Zusammenhang stände. 
Natürlich wünschen wir die Wiederherstellung Elsaß-Lothringens. (Zustim- 
mung.) Dafür kämpfen wir zweifellos, aber nicht dafür allein, noch nimmt 
es unter den Kriegszielen eine besondere Stellung ein. Wir kämpfen in 
erster Linie dafür, daß Europa von der beständigen Drohung der Militär- 
herrschaft in Deutschland befreit werde. (Bravol) Und teils aus diesem 
Grunde, teils an sich wünschen wir die Landkarte Europas so umgestaltet 
zu sehen, daß die verschiedenen Völker unter der Regierungsform leben 
werden, die sie wünschten und die ihrer geschichtlichen Entwicklung und 
ihren kulturellen Bedürfnissen angemessen sei. 
In der Entschließung war die Rede von Belgien, und natürlich wird 
jedermann in diesem Lande ebenso wie nicht jedermann in Deutschland 
damit einverstanden sein, daß Belgien vollkommen wiederhergestellt werden 
muß. Balfour fragt weiter, ob die Einbringer der Entschließung und ihre 
Partei sich nicht um die Mißregierung in Armenien und Arabien kümmerten. 
(Bravol) Sicherlich könnte man die Türkei nicht demokratisieren. (Heiter- 
keit und Bravol) Die Antragsteller scheinen zu glauben, alle diese Dinge 
könnten befriedigend erledigt werden, wenn es gelinge, die europäischen 
Mächte dazu zu bringen, sich zu Unterhandlungen um einen Tisch zu setzen. 
Ist das gesunder Menschenverstand? Dies wäre es, wenn Deutschland seine 
Zustimmung dazu geben würde, wie schon öffentlich angeregt ist, das alte 
Rönigreich Polen in den Grenzen herzustellen, wie sie nach Charakter und 
nach Bevölkerung polnisch sind. Das wird es nicht wollen. Hat es da einen 
Zweck, darauf zu warten, bis man sich um einen Tisch setzt und derartige 
Fragen erörtert? Alle Redner haben heute abend davon gesprochen, als 
hätten wir unsere Kriegsziele geändert und als wären wir von allen 
Völkern dasjenige, das nicht seine Kriegsziele bekannt gegeben hat. Das 
Volk, das seine Kriegsziele nicht bekannt gegeben hat, sind nicht die Alliierten: 
Es sind die Mittelmächte. Ich habe unsere Kriegsziele anfangs dieses 
Jahres (s. S. 248 ff.) schriftlich niedergelegt. Kann der Antragsteller irgend- 
einen Punkt anführen, in dem durch die Mittelmächte etwas gesagt ist, 
was sich in dieser Richtung bewegt? Die Mittelmächte wurden von Wilson 
aufgefordert, ihre Kriegsziele zu nennen, als Amerika noch neutral war. 
Sie haben nicht geantwortet. Ihre Antwort auf die Papstnote beweist, 
daß sie nicht bestimmen können oder wollen, welches ihre Kriegsziele sind. 
In der Papstnote waren besonders zwei Punkte erwähnt, der eine Belgien, 
und der andere Polen. Ueber keinen von ihnen haben die Mittelmächte 
ein Wort gesagt. Weshalb tadelt man dann uns? Der eine der Redner 
hat unsere Kriegsziele als imperialistisch hingestellt. Sie sind aber nicht 
imperialistisch. Ist es imperialistisch, Armenien von der Tyrannei der 
Türkei befreit zu sehen, ist es imperialistisch, Elsaß-Lothringen an Frank- 
reich zurückgegeben zu sehen, zu sehen, daß Italien alle Mitglieder der 
eigenen Rasse, Zivilisation und Sprache in sich aufnimmt, und die Rumänen 
unter rumänischer Herrschaft und die serbische Gesamtheit unter einer großen 
blühenden einheitlichen Macht zu sehen? In keinem dieser Dinge sei etwas 
Imperialistisches und für Unterhausmitglieder, die in diesem Hause sprächen, 
scheine es ihm einer der schlimmsten Dienste zu sein, die ein Mann seinem