Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

388 Frankrei. (März 7.) 
und sämtliche Minister teil. Den Ehrenvorsitz führt der Akademiker Lavisse, 
den Vorsitz der Präsident der Kammer Deschanel. 
Justizminister Viviani erklärt im Namen der Regierung, nach dreißig 
Kriegsmonaten habe Frankreich, unbezwingbar und entschlossen, die Nieder- 
lage in die Ferne gerückt und sich dem Siege genähert. Wie es sich im 
Kriege aufrechterhalte, so werde es morgen auch aufrechtstehen in dem 
Frieden, der ihm Entschädigungen bringe, zusammen mit Elsaß-Loth- 
ringen, in einem Frieden auf Grund des Sieges, den Frankreich seiner 
Geschichte zu Ehren und gemäß der Achtung für seinen Namen allein an- 
nehmen könnte gegenüber dem preußischen Militarismus, der die Geiße: 
dieses Krieges entfesselt hätte, eines Sieges, der es ermöglichen würde, daß 
die Kinder seiner Kinder frei unter der Sonne leben könnten. Für das Recht 
und im Bunde mit seinen Verbündeten bleibe Frankreich aufrecht. — Der 
Kammerpräsident Deschanel erklärt u. a.: Deutschlands Behauptung, daß 
die Entente es vernichten wolle, sei haltlos. Man könne eine Nation von 
70 Millionen nicht vernichten, und wenn man von einer Vernichtung des 
preuß. Militarismus spreche, meine man damit nicht, den Charakter Preußens, 
das ein militärischer Staat sei, zu zerstören; denn wenn Preußen seinen 
Militarismus nicht hätte, würde es nicht existieren. Man müsse dann auch 
alle deutschen Schulen und Universitäten, deren logische Fortsetzung die 
Armee sei, vernichten. Solchen Chimären laufe man in Frankreich nicht 
nach. Man wolle niemand verhindern, zu leben, aber man wolle, daß alle 
Völker in Freiheit, Unabhängigkeit und Würde atmen und arbeiten können. 
Für Frankreich und Europa gäbe es keine Ruhe, solange die deutsche Armee 
so nahe der französischen Hauptstadt stehe und den Zugang zu den Straßen 
halte, auf denen die Deutschen 29mal in Frankreich eingebrochen seien. 
Geographie und Geologie seien die besten Diplomaten und die Grund- 
lagen für die wirklichen Grenzen Frankreichs. Beachte man sie nicht, so 
falle man in Willkürlichkeit und Gewalttätigkeit. Auch nach dem Kriege 
werde der Kampf nicht zu Ende sein, solange der Feind vor der Türe 
stehe. Deshalb müsse man sich bemühen, ihn zu schlagen. — Sodann 
sprechen noch der Historiker Ernest Lavisse, Vorsitzender des Organisations- 
komitees. M. Barrêös im Namen der Patriotenliga und Vertreter der 
Wissenschaften, Stadtgemeinden und des kath., prot. und israel. Propaganda- 
ausschusses im gleichen Sinne. Schließlich erklärt sich Biviani im Namen 
der Regierung mit den Ausführungen seiner Vorredner solidorisch. 
Die ganze Presse betont, die Kundgebung habe infolge der Er- 
klärungen Vivianis weit mehr als nur offiziösen oder patriotischen Charakter. 
Zu der Behauptung, daß Deutschland im Laufe der Jahrhundemne 
29mal in Frankreich eingebrochen sei, bemerkt die „Nordd. Allg. Ztg." 
unterm 9. u. a.: Gewiß haben unsere siegreichen Fahnen schon manchmal 
auf den Schlachtfeldern Frankreichs, ja von den Zinnen seiner stolzesten 
Paläste und stärksten Festungen geweht; gewiß haben wir dem hochmütigsten 
und eingebildetsten Volke der Erde unsere militärische Ueberlegenheit schon 
des öfteren blutig auf den Rücken geschrieben. Aber darum bleibt die 
Politik Frankreichs dem deutschen Nachbar gegenüber doch durch die Jahr- 
hunderte hindurch eine ununterbrochene Kette von Herausforderungen und 
Gewalttätigkeiten. Mit ehernem Griffel hat die Weltgeschichte das furcht- 
bare Elend verzeichnet, mit dem die Raubzüge franz. Herrschsucht und 
Ländergier deutsche Lande heimgesucht, blühende Fluren verbrannt und 
alles Menschenglück, das sie an ihrem Wege fanden, unter ihre brutalen 
Füße getreten haben. Noch tönt der Mordbrennerbefehl des „brüler le 
Palatinat“ beispiellos durch die Geschichte, noch ist „Heidelberga deleta“ 
ein beredtes Denkmal franz. Geistes. Jahrhundertelang hat Deutschland,
	        
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