Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

398 Frankreich- (März 23. 27.) 
In der Generaldiskussion über das Budgetprovisorium erklärt Abg. 
Gardey, es müßten sofort Maßnahmen getroffen werden, um neue Ein- 
nahmequellen zu schaffen. Vollkommene fiskalische Reformen auf Grund 
eines allgemeinen Einkommensteuergesetzes seien unbedingt notwendig. — 
Abg. Brousse, Berichterstatter des Ersparnisausschusses der Kammer, er- 
innert daran, daß bei den letzten Erörterungen über die Budgetzwölftel 
von den Unterstaatssekretären des Kriegsministeriums Ersparnisse versprochen 
worden seien, die getrossenen Maßnahmen jedoch kein befriedigendes Er- 
gebnis gehabt hätten. Es handle sich besonders darum, die Offiziersbestände 
im Landesinnern weiter herabzusetzen. Die Repräsentationsgelder der Parla- 
mentspräsidenten und der Minister seien zu beschränken. Für Pferde- 
einkäufe in den Ver. Staaten seien viel zu hohe Preise bezahlt worden. 
200 Mill. Fr. seien unnützerweise für Geschosse ausgegeben worden, die den 
Bedingungen des Kriegsministeriums nicht entsprochen hätten. 
Am 23. wird das Budgetprovisorium mit 478 gegen die 3 Stimmen 
der Zimmerwalder Soz. bewilligt. 
B. März. Ausländische Schiffe unter franz. Flagge. 
Das „Amtsblatt“ veröffentlicht das Gesetz, das ausländischen Schifen 
gestattet, unter fran z. Flagge zu fahren, vorausgesetzt, daß sie unter Ver- 
antwortung des franz. Staates fahren, der Versorgung Frankreichs mir 
Kriegsmaterial und Nahrungsmitteln dienen, und daß sich ein Vertreter 
Frankreichs an Bord befindet. 
27. März. (Kammer.) Einstellung des Rekrutenjahrgangs 1918. 
Entziehung des Bürgerrechts. 
Im Einverständnis mit dem Heeresausschuß beantragt Kriegsminister 
Painlevé die Einberufung des im Februar ausgemusterten Jahrgangs 1918 
für den 12. bis 15. April, um durch eine intensive Ausbildung in den 
Stand gesetzt zu werden, noch an den entscheidenden Kämpfen des Sommers 
teilzunehmen. Nachdem der Minister die Notwendigkeit der Einberufung 
dargelegt hat, führt er aus, Frankreich ist Manns genug, der Wahrheit ins 
Gesicht zu sehen. Wir treten in den entscheidenden Abschnitt des Krieges 
ein, aber entscheidend heißt nicht kurz. Zum erstenmal hat die stolze deutsche 
Armee zugestehen müssen, daß ihre westliche Front nicht unerschütterlich ist, 
aber so glückverheißend die Anfänge des Frühlingsfeldzzuges auch seien, es 
würde kindisch sein, die Rückwärtsbewegung der Deutschen als einen Ver- 
zicht aufzufassen. Diese Bewegung beweist mehr die Stärke der engl. und 
franz. Heere und die Klugheit in ihrem Zusammenwirken als eine Schwächung 
der deutschen Heere. Diese Rückwärtsbewegung beweist, daß das deutsche 
Heer es nötig hat, sich für die schwere Schlacht zu sammeln. Deutschland 
faßt alle Energie im Heere und im Innern zu einer verzweifelten An- 
strengung zusammen mittels der Mobilmachung aller Kräfte von Mann und 
Weib und durch die verabschenungswürdige Härte des Arbeitszwanges für 
Bürger der von ihm besetzten Länder. Deutschland hat alle seine Söhne. 
die die Waffen tragen können, auf das Schlachtfeld geschickt; durch eine 
eiserne Organisation hat Deutschland es trotz der Leiden und der Ver- 
zweiflung seiner Bevölkerung durchgesetzt, seine Heere so zahlreich und so 
vorzüglich ausgerüstet zu erhalten. Das ist das Kriegswerkzeug, das wir 
besiegen müssen. Aber die Hilfsquellen der Alliierten sind so ungeheuer 
und der Heldenmut unserer Soldaten ist so gesteigert, daß wir dieses Ziel 
erreichen werden, sosern wir uns keiner Täuschung über den dazu nötigen 
Kraftaufwand hingeben. Die französische Energie wird unerschütterlich 
sein. Wenn das Verhängnis es will, daß der Jahrgang 1918 seinen Teil
	        
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