Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

frantreich. (Mai 22.) 405 
wichtige Ergebnisse zur Folge gehabt und uns die deutsche Offensive be- 
meistern lassen, die wir sonst über uns hätten ergehen lassen müssen. 
Die ganze deutsche Reserve wurde durch unsere Offensive immobilisiert. 
Wir haben 20000 Gefangene erbeutet und einen Teil unseres Bodens wieder 
erobert. Man darf das Resultat weder übertreiben noch unterschätzen. Die 
Veränderungen im Oberkommando waren nach Ansicht der Regierung 
notwendig. Es wurden Strafmaßnahmen (sanctions) ergriffen. ##- der 
Organisation und im Betrieb des Großen Hauptquartiers mußten Ver- 
a#bnderungen durchgeführt werden. Dieses muß von allem entlastet sein, was 
nicht die Vorbereitung und Führung der militärischen Operationen an- 
belangt. Die Regierung hat eine Reorganisation durchgeführt und es für 
gut befunden, neben dem Großen Hauptquartier und der Regierung zur 
Seite einen technischen Beirat zu schaffen. Die Regierung hat alle Ent- 
schlüsse unter ihrer Verantwortlichkeit gefaßt ausschließlich im Hinblick auf 
die Wohlfahrt des Landes und der Armee. Der U-Bootkrieg ist ernst, 
man darf ihn jedoch nicht übertreiben. Im April war man über die Ver- 
luste der Alliierten erschreckt. Glücklicherweise waren die Maiergebnisse 
weniger beunruhigend. Die franz. Regierung sucht in Uebereinstimmung 
mit den alliierten Regierungen wirksame Bekämpfungsmaßnahmen. Bezüg- 
lich der Einschränkungen muß man dem Lande die Wahrheit sagen. 
Es ist unvermeidlich, daß nach zweieinhalb Kriegsjahren alle Völker, selbst 
die neutralen, zu Einschränkungen und Leiden gezwungen sind. Das Land 
wird verstehen, sich zu fügen, wenn ihm der Verpflegungsminister die Wahr- 
heit gesagt haben wird. 
Bei Besprechung der Interpellationen Renandel und Mayéras über 
die russische Revolution und den Eintritt der Ver. Staaten in den 
Krieg ersucht R., sie auf unbestimmte Zeit zu vertagen, da die franz. Re- 
gierung von der russischen Regierung zu Besprechungen eingeladen worden 
sei. Wir haben mit unverhohlenem Mitgefühl die Entwicklung der russischen 
Revolution verfolgt und wir haben Verständnis für die Schwierigkeiten, 
mit denen die russische Regierung zu kämpfen hat, die aus hervorragenden 
tapferen Männern besteht, die aber von anderen Einflüssen umgeben sind, 
die ihre Tätigkeit erschweren und die Gesetzlosigkeit begünstigen. Diese 
mutigen Männer haben Erklärungen abgegeben, die uns voll befriedigen, 
da sie vor allem in der Armee strengste Mannszucht herstellen wollen, denn 
dies ist eine Daseinsfrage für das russische Volk. 
Großes Aufsehen verursacht es, als R. ein an ihn gerichtetes Tele- 
gramm des russischen Ministers des Aeußern verliest, in dem es heißt, daß 
Rußland Frankreich nicht vergessen werde, und daß es den bewunderungs- 
werten Anstrengungen des franz. Volkes zu danken sei, daß die feindlichen 
Massen nach Westen abgelenkt und so die Neubildung der russischen Staats- 
kräfte gefördert wurde. (Lebh. Beif. beim letzten Satz.) R. fügt hinzu: Ich 
nehme für mein Land diese Worte des Vertrauens und Dankes an. Ja, 
wir gehen Hand in Hand mit dem treu gebliebenen Rußland. Bei ihm 
wird ein Sonderfriede niemals in Frage kommen. Der russische Minister 
hat den Sophismus richtig gekennzeichnet, mit dem Deutschland die Formel 
„Ohne Annexionen und Entschädigungen“ mißbraucht, in der Absicht, die 
uns ehemals entrissenen Provinzen für sich zu behalten. (Allg. wiederholter 
Beif.) Deutschland hat den Krieg gewollt, der Schuldige ist nicht bei uns, 
sondern dort! Wir werden Wiedererstattungen verlangen. Es werden keine 
Annexionen sein, sondern sie werden auf Recht und Gerechtigkeit gegründet 
sein und Zeugnis ablegen von der Barbarei, mit der unsere besetzten Ge- 
biete behandelt worden sind. Ein Friede ohne Schadenersatz, das wird 
Rußland nicht sagen. Aber es wird sich nicht um Kriegsentschädigungen
	        
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