Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

406 fraskreich. (Mai 22. 
handeln, die man als Strafe auferlegt (Allg. Beif., bes. bei den Soz.), es 
handelt sich um Sühne, um ein Werk der Gerechtigkeit. Die ganze Welt 
wird einen Gerichtshof bilden. Ein russischer General hat mit Recht ge- 
sagt, daß es lächerlich ist, bestimmte Vorschläge über einen Frieden ohne 
Eroberungen zu machen, während die Deutschen noch Teile von Frankreich., 
Rußland, Belgien und Serbien besetzt halten. Die russische Demokrartie 
— Herrin ihres Geschicks — hat laut erklärt, daß sie den Krieg kraftwol 
fortsetzen will, und daß sie nicht vom Geiste der Eroberung geleitet ist. 
sondern für die Freiheit kämpft. (Beif.) Wir werden den Kampf nicht in 
Gedanken an Eroberungen und Annexionen fortführen, sondern um da: 
zurückzuerhalten, was unser war. Ich wiederhole, daß Frankreich kein Volk 
unterdrücken will, nicht einmal die Bölker seiner Feinde, denn es erkenn: 
die Freiheit aller Völker an. Frankreich wird am Tage des Sieges nicht 
„Rache“ schreien, sondern „Gerechtigkeit“. (Beif., bes. b. d. Soz. Es komm: 
vor allem darauf an, daß der Friede von Dauer ist. Der Alpdruck des 
Krieges hat schon zu lange gedauert. Wir müssen daher den Militär- 
despotismus vernichten. An dem Tage, an dem das deutsche Volk das ein- 
sehen wird, wird der Friede leichter zu erreichen sein. Das ist es, wa- 
die Russen und wir immer wieder sagen. Es liegt unseren Demokratien 
am Herzen, daß das russische Heer unter der Leitung seiner Führer zu 
neuer Kraft sich entwickelt und seinerseits eine Offensive unternimmt, während 
die Ver. Staaten sich vorbereiten, uns in einigen Wochen ihre ersten Divisionen 
zu schicken, denen weitere Divisionen folgen werden. Möge Rußland seine 
Pflicht tun, und wir werden weiter nichts zu befürchten haben. Unsere 
Feinde werden ihre Hoffnungen zerstört sehen. Sie werden vielleicht um 
Frieden bitten, nicht heuchlerisch wie heute, mit falschen und hinterlistigen 
Mitteln, sondern offen, unter Bedingungen, die Frankreichs würdig sind. 
Und wenn man nicht um Frieden bittet, werden wir ihn zu erzwingen wissen. 
Die Erklärungen Ribots rufen auf allen Bänken größtes Aufsehen 
hervor und wecken stürmischen Beifall auch bei den Soz. 
Das Haus erklärt sich sodann damit einverstanden, daß die Inter- 
pellationen über politische Fragen zurückgestellt und zunächst die wirtschaf- 
lichen Fragen, in erster Linie die Versorgungsfrage, erörtert werden. 
Zur Rede Ribots meldet der „Schweizerische Preßtelegraph“: Die 
Programmrede Ribots gilt der Pariser Presse als hochwichtiges politisches 
Ereignis. Die Presse hat das Empfinden, daß die Rede tatsächlich einen 
Wendepunkt in der Kriegspolitik Frankreichs darstelle. Die Blätter der 
friedensfreundlichen Kreise, wie „Journal du Peuple“ und „Bonnct Rouge“. 
freuen sich aufrichtig über die Mäßigung Ribots, die zu den Programm 
reden Briands in wohltuendem Gegensatz stehe. Auch andere Zeitungen. 
wie „Heure“ und „Intransigeant“, sehen im offenen Verzicht der franz. 
Regierung auf das Zerschmetterungs-= und Racheprogramm etwas wie einca 
Annäherungsversuch und damit einen Schritt zum Frieden. Das Anrech: 
Frankreichs auf Elsaß-Lothringen und auf die Entschädigungen für die 
Zerstörungen in den besetzten Gebieten gilt dabei allerdings noch als selbft 
verständlich, und es herrscht die Auffassung vor, das deutsche Bolk müße 
das Entgegenkommen der franz. Regierung anerkennen. (Die halbamtl. Er- 
widerung der „Nordd. Allg. Ztg."“ s. Tl. 1 S. 608.) 
Am gleichen Tage bringt die Regierung die Vorlage betr. die pror. 
Budgetzwolftel für das dritte Quartal 1917 ein. Die Begründunz 
verzeichnet eine große Neuerung: Der Finanzminister wird für das Jasr 
1918 ein Jahresbudget für die Ausgaben einschließlich der Kredite für die 
Zioilverwaltung und die Rentenverwaltung ausarbeiten. Die prov. Kredike 
werden nur die Kriegsausgaben umfassen. Die Regierung beabsichtigt alie.
	        
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