Frankteiq. (Oltober 12.) 453
oft unübersteigbaren Schwierigkeiten der Frachtraumbeschaffung hätten die
Herabsetzung der normalen täglichen Brotmenge von 500 auf 150 bis 200 Gr.
leider unabweisbar nötig gemacht. Die Regierung bemühe sich durch diplo-
matische Verhandlungen mit London Lund Washington, die gleichmäßige
Verteilung der Getreidereserven bei allen Verbündeten durchzusetzen, mache
auch alle Anstrengungen, von England die Ablösung weiterer älterer Jahr-
gänge franz. Bauern zu erzielen. Das Ministerium brauche für diese heiklen
Dinge die Unterstützung der Kammer und bitte daher, die an sich gerecht-
fertigte Kritik zurückzustellen.
In der Debatte unterlassen es die Abgeordneten aller Parteien nicht,
ihrer Bestürzung über die wirtschaftlichen und namentlich moralischen
Wirkungen so einschneidender Einschränkungen in dem den Franzosen un-
entbehrlichen Brotverbrauch Ausdruck zu geben.
Verpflegungsminister Long erklärt im weiteren Verlauf der Beratung,
die Getreidefrage sei bei seinem Eintritt ins Ministerium tatsächlich sehr
kritisch geworden. Seit März habe Frankreich nur von einem Tag, ja
von einer Stunde zur anderen gelebt. Um den Frachtraum für den über-
seeischen Getreidetransport zu gewinnen, habe man eine Reihe von Schiff-
fahrtslinien nach Südamerika und Indochina einstellen müssen. Sollten
die franz. Bauern bei der Ablieferung des Getreides Schwierigkeiten machen
und zu hamstern versuchen, so würde man requirieren. (Hier ruft ein Ab-
geordneter: „Dann haben Sie die Revolution im Lande.“) Der Minister
kündigt schließlich die Herabsetzung des Zuckerverbrauches für Luxuszwecke
an. Vom 15. Oktober ab dürfe in den Restaurants und Cafés nur noch
Sacharin als Süßstoff verabreicht werden. Zum Schluß wird eine Tages-
ordnung Dariac angenommen, welche eine „tatkräftige kluge Politik zur
Verpflegung des Landes“, bessere Lebensmittelverteilung an die Bevölkerung
ohne unnötige Einschränkungen, Vorgehen gegen Spekulation und Hamsterei,
Verbesserung des Zufuhrwesens, Erhöhung der Erzeugung und mit dem
Alter der Jahrgänge sich steigernde Entlassung aus dem Heere wünscht,
ebenso ein Zusatzantrag, das Oberkommando moöchte der Landwirtschaft die
im Heere entbehrlichen Arbeitskräfte zur Verfügung stellen.
12. Okt. (Kammer.) Tätigkeit der franz. Diplomatie. Nibot
über Elsaß-Lothringen.
Abg. Georges Leygues führt in einer Interpellation über das diplo-
matische Personal aus: Das Intrigennetz, das von den Deutschen um
die Kriegführenden gesponnen wurde, macht es notwendig, das Land zu
unterrichten und die internationale öffentliche Meinung aufzuklären. Vom
ersten Tage an ließ Deutschland seinen Propagandadienst arbeiten. Frank-
reich tat lange nichts, um diesei Bedürfnis nachzukommen. Man schuf
eine Preßfirma, die aber nicht die gewünschten Dienste leistete. Man muß
den Feind nicht nur auf militärischem Gebiete bekämpfen, sondern auf allen
Gebieten, auf denen man ihm beikommen kann. Zu diesem Ende müssen
wir eine Kriegspolitik haben und alle Verbündeten ebenfalls eine Kriegs-
politik haben. L. setzt auseinander, daß Deutschland bis zum Dezember
1916 an einen Frieden durch den militärischen Sieg glaubte. Erst nach
dem siegreichen Widerstand von Verdun ließ es seine Friedensvorschläge
im Dezember los und eröffnete so die Zeit der diplomatischen Umtriebe.
L. geht weiter zu der päpstlichen Note über, die den Hauptpunkt, die
Ursachen und Verantwortlichkeiten des Krieges, vergessen habe. Bei An-
führung der Note Wilsons an den Papst bezeichnet der Redner den preuß.
Militarismus als eine feudale Einrichtung, die man vernichten und Deutsch-
land damit den Beweis liefern müsse, daß der Krieg keine Industrie sei,