Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

466 frankreicz. (November 12.) 
denkt. Die reichen Korn= und Oelfelder Rumäniens gingen in den Beiis 
des Feindes über. So konnte Deutschland durchbalten bis zur Ern:e 1917. 
Die Belagerung der Mittelmachte war abermals ausgehoben und dierser 
furchibare Krieg abermals verlängert. Das häite nicht geschehen können. 
wenn eine zentrale Aulorität vorhanden gewesen wäre, deren veran:twort- 
liches Amt darin bestand, für die Gesamtheit der Kampffronten das Kriegs- 
problem zu überdenken. Aber wiederum hatten Frankreich und England 
alle ihre Streitkräfte für die blutigen Anstürme an der Somme eingesesßzt, 
Italien kämpfte auf dem Karst um sein Leben, Rußland war in den Rar- 
palhen beschäftigt, und es gab keine Körperschaft, die im voraus Maßnahmen 
vorbereitete, um das Schicksal Rumäniens abzuwenden. Daß wir vier 
Kriege führten und nicht einen, ersehen wir auch aus folgendem. 1916 hatten 
wir abermals eine Pariser Konferenz und abermals das Schauspiel eincs 
großen, einheitlichen, strategischen Planes. Aber als dann die russische 
Militärmacht im März 1917 zusammenbrach, trat nicht etwa ein Wechiel 
in der Strategie ein, sondern man handelte genau so, als ob in Rußland 
nichts geschehen wäre. Warum? Weil die Piäne voneinander unabhäugig 
waren und nicht Teile eines strategischen Ganzen bildeten. Die neue 
Tragödie verlief wie die frühern, weil sie eben dieselbe Ursache ha#e. 
Rußland zerbrach. Seine Front, so meinten wir, sei seine eigne Angelegen- 
heit. Und jetzt, wo Italien bedroht wird, meinen wir, es möge seinen Krita 
selbst zu Ende führen, und denken: „Soll ich meines Bruders Hüter sein? 
Solche Anschauung ist verderblich, ist verbängnisvoll. Die italienische From 
ist für Frankreich und England gerade so wichtig, wie sie es für Deutsch 
land war. Deutschland hat das rechtzeitig eingesehen, wir leider nicht. 
Es hat absolut keinen Zweck, den Umfang der Katastrophe zu ver- 
kleinern. Wenn Sie das tun, dann werden Sie nie hinreichende Maßregeln 
treffen, um das Unglück wieder gut zu machen. Wenn wir einen Kilometer 
in den feindlichen Linien vorrücken und ein kleines verwüstetes Dorf aus 
den Klauen des Feindes reißen, wenn wir ein paar hundert seiner Soldaten 
gefangen nehmen, dann brechen wir in Freudenschreie aus, und das wod. 
mit Recht. Denn wir können hierin das Symbol unserer Macht über den 
Feind sehen und eine bestimmte Garantie dafür, daß wir schließlich doch 
noch den Sieg erringen können und werden. Aber wenn wir nun 50 Kilo- 
meter über die feindliche Front hinausgerückt wären und 200000 seiner 
Soldaten gefangen genommen hätten, wenn wir 2500 seiner besten Kanonen 
und eine unübersehbare Menge von Munition und Vorräten erobert hätten 
was wäre dann geschehen? Wie fett würden dann diese Tatsachen in den 
Titeln der Blätter gedruckt werden! Haben Sie eine Vorstellung davon. 
wieviel Zeit es in den Arsenalen Frankreichs und Englands kosten wird. 
2500 Kanonen herzustellen? 
Lloyd George unterbricht an dieser Stelle seine Rede, um einen Brie; 
des Washingtoner Korrespondenten der „Times"“ zu verlesen, wonach Ameriko 
auf das bitterste die mangelnde Einheit der Entente beklagt und die Schuld 
der italienischen Niederlagen auf England und Frankreich abwälzt. Er fährt 
dann fort: Vielleicht werden Sie mir sagen, daß die Amerikaner betreßs 
der Erfolge, die unsere Mitarbeit an der ital. Front gehabt hätte, eine allzu 
optimistische Meinung haben. Ich kann darüber nicht urteilen, ich bin nur 
ein Zivilist. Aber ich möchte auf eine zweite Frage antworten: warum 
at man dies alles nicht schon früher gesagt und dementsprechend gehandelt? 
ch selbst aber habe es gesagt, und wollte danach handeln und manche meiner 
franz. Kollegen ebenfalls, wir sagten es Wochen, Monate, Jahre hindurch. 
in den Konferenzen, Besprechungen, Komitees, bis wir davon müde wurden. 
Ich habe dies auch schriftlich niedergelegt, und man wird es lesen, wens-
	        
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