Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

Bie Stterreichisch- ungerische Monarchie. (April 13.) 61 
akzeptablen, das Selbstgefühl der Regierung und der Majorität sowie die 
ihr von der Nation verliehene berechtigte Stellung nicht verletzenden Form 
die Konzentration angestrebt, so wären wir, unsere Besorgnisse nieder- 
kämpfend, ehrlich auf diesen Versuch eingegangen. Aber nach diesen An- 
griffsen und Szenen hätten wir gegen das Interesse der Nation gehandelt, 
wenn wir die Grundlagen dieser durch gegenseitiges Vertrauen gefestigten 
homogenen Partei und Regierung hätten erschüttern lassen. 
Graf T. geht sodann auf die Wahlrechtsfrage über und bemerkt, 
man habe diese Frage mit einer anderen verquickt, nämlich mit der großen 
Wahrheit, daß aus diesem Kriege Lehren gezogen werden müssen und daß 
die Nation nach dem Krieg eine große Dankesschuld abzutragen habe. 
Seine Partei habe stets mit der größten Entschiedenheit betont, daß die 
Erfahrungen des Krieges viele Scheidewände niedergerissen, Mißverständ- 
nisse und Mißtrauen beseitigt haben und daß nach diesen großen Ereig- 
nissen noch mehr als bisher die Interessen der Nation zusammen mit den 
Interessen des Volkes gefördert werden müssen. So sehr er trachten werde, 
dieser Wahrheit auch durch Taten zu dienen, so sehr müsse er gegen die 
unendlich kurzsichtige Behauptung protestieren, die einfach im radikalen 
Wahlrecht das Erfordernis der neuen Zeit erblickt. Bezüglich der Wahl- 
rechtsfrage in Preußen stehe es ganz anders. Dort bestehe ein vollkommen 
veraltetes Wahlrecht, welches nicht ganz vier Proz. der erwachsenen männ- 
lichen Bevölkerung, insgesamt 290000 Personen, die entscheidende Macht 
einräumt. Wir haben vor vier Jahren eine Wahlreform durchgeführt, in- 
folge deren sich trotz des Kriegszustandes, wo beim besten Willen die Kon- 
stription keine vollkommene sein konnte, eine Wählerliste von 1800000 
Wählern ergab. Die vor vier Jahren geschaffene Wahlreform bedeutet einen 
gewaltigen Schritt vorwärts. Wir dürfen nicht Schlagworten zuliebe einem 
Terrorismus weichen, sondern wir müssen auf dem Wege der nationalen 
Realpolitik bleiben, welche nicht unabänderliche Dogmen verkündet, welche 
nicht sagt, daß die Wählerzahl nie vermehrt werden darf, welche aber da- 
gegen protestiert, daß unter dem Terrorismus von Schlagworten eine solche 
radikale Veränderung durchgeführt werde, welche die Lebenswurzeln der 
ung. Nation angreifen würde. Nach Beendigung einer mehrere Monate 
sich hinziehenden Debatte, welche nicht immer dem Prestige des ung. Par- 
laments nühzte, hielt es die Regierung für angemessen, daß in den parla- 
mentarischen Beratungen eine nicht lange, höchstens zwei Monate dauernde 
Pause eintrete. Demgegenüber verlangte die Opposition, daß das Parlament 
in Permanenz bleibe. Hierzu war aber kein Grund vorhanden. Einerseits 
sind keine dringlichen Vorlagen vorhanden, andererseits ist unsere militä- 
rische Lage Gott sei Dank so fest und beruhigend, wie nach menschlichem 
Ermessen in einem so großen Weltkrieg überhaupt von Beruhigung und 
Festigkeit gesprochen werden kann. 
Die Ereignisse in Rußland können eventuell einen heilsamen 
Einfluß in der Richtung ausüben, daß sie näher zum Frieden führen. 
Sicherlich kommt es auch der Opposition nicht in den Sinn, zu glauben 
oder vorauszusetzen, daß die Flamme der in Rußland ausgebrochenen 
Feuersbrunst zu uns herüberschlagen könnte. Wenn es einen Staat gibt, 
dessen verfassungsmäßiges Leben als gesichert betrachtet werden kann, 
dessen verfassungsmäßigen König eine Besorgnis vor revolutionären Be- 
wegungen niemals und unter keinen Umständen berühren kann, so ist dies 
Ungarn. Wenn es ein Land gibt, wo diejenigen, die für die Führung der 
Regierungsgeschäfte verantwortlich sind, eine Garantie dafür übernehmen 
können, daß sich revolutionäre Erscheinungen nicht zeigen werden, so ist 
dies Ungarn. Und ich glaube auch nicht, daß es irgendein Mitglied der
	        
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