Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

656 L#hland. (März 11.—14.) 
schiedene Truppenteile, sich ihr zur Verfügung zu stellen. Daraufbhin ent- 
schloß sich Rodzianko, den. Vorsitz des Mollziebungsausschusses der 
Duma zu übernehmen, der sodann im Laufe des Abends aus folgenden 
Persönlichkeiten gebildet wurde: Der Präsidem der Duma Rodzianko. 
der Führer der soz. Dumafraktion Tscheidse, der Führer der Arbeits 
partei Kerenski, der Kadettenführer Miliukow, der Angehörige der 
Oktobristenfraktion Lberst Engelhardt, der Rizedräsident der Duma 
Kadett Konowalow, der Kosakenoffizier Karaulow, der Erste Dumoa- 
sekretär Dmitrijukow, der Zweite Dumasekretär Rschewski, der Okio- 
bristenführer Schidlowski, der Kadett Nekrassow, der Führer der ge- 
mäßigten Oktob. Fürst Lwow und der Führer der Links-Nat. Schulgin. 
Der Sieg der Revolution schien bereits vollständig zu sein. Der 
Ministerrat, der sich am Abend des 12. in der Admiralität versammelt 
hatte, bat den Zaren telegraphisch um seine Entlassung. Die gewählten Mit- 
glieder des Reichsrats machten in der Nacht vom 12. zum 13. einen ver 
geblichen Versuch, die Dunastie zu retten, indem sie telegraphisch den Zaren 
dringend ersuchten, sofort die gesetzgebenden Kammern einzuberusen, das 
gegenwärtige Ministerium zu verabschieden und eine mit dem Volksvertrauen 
bekleidete Persönlichkeit mit der Bildung einer parlamentarischen Regierung 
zu betrauen. Am Abend des 13. war auch der Rest der Truppen zu den 
Aufständischen übergegangen. Die meisten Minister und hohen Beamten der 
alten Regierung wurden am 13. und 14. in verschiedenen Versrecken auf- 
gefunden und verhaftet, einige auch ermordet. In den anderen Großstädten 
sowie in der Provinz vollzog sich der Sturz des Zarentums und die An- 
erkennung der Prov. Regierung ohne erhebliche Ruhestörungen. Schwierig- 
keiten machte nur die ÖOstseeflotte, die ihre radikalen Forderungen nicht be- 
friedigt sah. Am 17. wurde der Höchstkommandierende der Ostseeslorte 
Admiral Nepenin von den Meuterern ermordet. 
Zwischen dem A.= u. S.-Rat und dem Vollziehungsausschuß der 
Duma, für den sich die Mehrheit der Trupven erklärt hatte, kam es noch 
am 13. zu Verhandlungen. Am Abend traten der Vollziehungsausschuß 
des A.- u. S. Rates mit dem Vollziehungsausschuß d. D. zu einer gemein- 
samen Sitzung zusammen. Hier stellte ersterer sehr radikale Forderungen 
auf, für welche die neu zu bildende Regierung eintreten müsse. Um 
zu der notwendigen Einigung mit den Sozialisten zu gelangen, jat 
sich der Vollziehungsausschuß d. D. zu einem weitgehenden Entgegen 
kommen genötigt. Immerhin gelang es ihm, durchzusetzen, daß der Voll- 
ziehungsausschuß des A.= u. S. Rates auf die Forderung einer sofortigen 
Proklamierung der Republik verzichtete: diese sollte von der Verfassunggebenden 
Versammlung entschieden werden. Außerdem verlangte Rodzianko, daß ein 
oder mehrere Sozialisten in die Regierung eintreten, um diese dadurch 
volkstümlicher zu machen. Die anwesenden Sozialisten lehnten diesen Vor- 
schlag ab; nur Kerenski erklärte sich trotz des Widerspruchs seiner Genossen 
bereit, in die neue Regierung einzutreten. Es wurde die Liste der neuen 
Minister vereinbart, unter denen die Kadetten und Progressisten die Ober- 
hand hatten. Mit diesem Programm begab sich der Vollziehungsausschuß 
zu dem spät am Abend zusammenberufenen A.= u. S.-Rat, wo sich alebald 
stürmische Verhandlungen darüber entspannen. Die kleine Gruppe der- 
jenigen, die überhaupt gegen jegliche Anerkennung. einer bürgerlichen Re- 
gierung waren, wurde zwar geschlagen, doch erregten verschiedene Einzel- 
heiten des Programms lange und heftige Erörterungen, von denen wir 
allerdings nur folgendes wissen: Kerenski stellte der Versammlung das 
Ultimatum, ihn entweder aus ihrer Mitte gänzlich auszustoßen oder ihm 
das Vertrauen auszusprechen und ihm zu gestatten, in die Regierung ein-
	        
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