Rußland. (April 25.) 683
Kongreß, sich als Konstituierende Versammlung zu erklären und eine In-
terimsregierung für die Ukraine zu wählen.
Daß eine völlige Lostrennung der Ukraine von Großrußland vorerst
nicht erreicht wurde, ergibt sich aus folgendem Stockholmer Berichte der
„Frkf. Ztg." vom 25. April: Die Eröffnungsrede des Kongresses hielt
Prof. Hruschewskij. Die Ukrainer hegen, erklärte er, tiefes Mißtrauen
gegenüber der russ. Demokratie, weil sie für die ukr. Kultur niemals ein-
getreten sei. Es sei darum unumgänglich nötig, das staatliche Recht des
ukr. Volkes zu schützen, am besten durch völlige Unabhängigkeit (nach einem
Bericht der ukr. Zeitung „Nowa Rada“). Wegen dieser Nachrichten berief
der (Kiewer) A.= u. S.-Rat Vertreter der verschiedenen ukr. Vereine und
erklärte ihnen, wenn sie die unmittelbare Erklärung einer demokratischen
ukr. Republik beabsichtigten, so würden ihre Versammlungen mit Bajonetten
auseinandergejagt. Prof. Hruschewskij antwortete in großer Erregung.
Ein Vertreter ukr. Soldaten teilte darauf mit, daß innerhalb der Armee
eine „Ukrainische Brüderschaft" zur Erkämpfung der ukr. Selbständigkeit
begründet wurde. Ein Vertreter der ukr. Zentralorganisation erklärte, die
Proklamation der ukr. Republik könne nur durch einen allgemeinen ukr.
Kongreß erfolgen. Dagegen protestierte der russ. Soldatenrat. Das Schick-
sal der Ukraine sei durch die Sobranje, die Konstituierende National-
versammlung des ganzen russ. Reiches, zu bestimmen. — Die Leitung der
Regierungsgeschäfte übt in Kiew ein „Ukr. Zentralrat“ aus, der mit dem
aus den ukr. Parteivertretern in Petersburg gebildeten „Ukr. Nationalrat"“
in engen Beziehungen steht. Die Prov. Regierung hat dem ukr. Regierungs-
ausschusse bereits wichtige Zugeständnisse bezüglich der Selbstverwaltung,
Heeresorganisation u. a. machen müssen.
25. April. Eine apokryphe Rede Kaiser Wilhelms.
Die russ. Blätter teilen mit: Wilhelm hielt an die Offiziere einer preuß.
Gardedivision, die an unsere Front geschickt wurde, folgende Ansprache:
„Nach unseren Erfolgen im Westen, die unsere Garde unsterblich gemacht
haben, steht Ihnen bevor, dem listigen und mächtigen Reich des Ostens
einen Schlag zu versetzen, dem Reich, das gegenwärtig von den Krämpfen
innerer Wirren und des Aufruhrs erfaßt ist. Euer Kaiser hätte es nicht
gewagt, Euch ein Wort der Ermutigung und Hoffnung zu sagen, wenn er
nicht wüßte, daß der Erfolg Eure Sache krönen wird. Offiziere meiner
Garde! Eure ruhmreichen Kampfesgenossen sind siegreich in fünf Haupt-
städte unserer Feinde eingedrungen und ich fordere Euch auf, Eure sieg-
reiche Fahne in der Hauptstadt Rußlands aufzupflanzen, und verspreche
Euch, daß der Krieg dort zu Ende sein wird. Gott straft unsere Feinde;
vier von ihnen sind bereits ihrer Throne verlustig. Der bösartigste
unter ihnen, der mich stets betrogen hat, befindet sich jetzt in Haft. End-
lich führe ich das Vermächtnis meincs großen Großvaters aus und
werde das Slawentum auf allen Wegen zerschmettern, auf denen es mir
entgegenkommt.“
Die „Now. Wremja“ bemerkt dazu: Diese Worte Wilhelms, die in
einer Offiziersversammlung in Oderberg gesprochen worden und in der
offiz. deutschen „Militär. Rundschau“ wiedergegeben sind (gemeint ist das
„Militärwochenblatt") stellen eine interessante Ergänzung zu den süßsauren
Tröstungen dar, mit welchen die sog. Berliner Genossen sich an die russ.
Soz. gewandt haben. Wie groß muß doch das Selbstvertrauen sein, um
in einer solchen Form einem freien und für seine Freiheit einstehenden Volk
den Fehdehandschuh hinzuwerfen.
Diese Rede wird auch an sämtliche Provinzblätter telegraphiert und