Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

764 Ruhland. (November 20.) 
ersetzt durch die Politik eines engherzigen Mißtrauens gegen die Bölker 
Rußlands, durch eine Politik der Ränke und der Herausforderung, die sich 
hinter tönenden Phrasen, wie „Freiheit“ und „Gleichheit“ der Völker, ver- 
barg. Die Ergebnisse einer solchen Politik sind offenkundig: Steigerung des 
Bölkerhasses und gegenseitiges Mißtrauen. Dieser unwürdigen Politik der 
Lüge und des Mißtrauens, der Streitigkeiten und der Herausforderungen 
muß ein Ende gemacht werden. Für die Zukunft muß sie durch eine offene 
und ehrliche Politik ersetzt werden, die vollständiges, gegenseitiges Ver- 
trauen zwischen den Völkern Nußlands aufrichten kann. Nur ein solches 
Vertrauen wird die aufrichtige und dauerhafte Einigung der Bölker Ruß- 
lands entstehen lassen können. Und aus einer solchen Einigung wird der 
mächtige Zusammenschluß der Arbeiter und Bauern der verschiedenen Bölker 
Rußlands hervorgehen, der die einzige revolutionäre Gewalt bilden wird. 
die allen Anschlägen, die das imperialistische und annexionistische Bürger- 
tum noch planen könnte, Widerstand zu leisten vermag. Der Rätekongreß 
des vergangenen Juni hat das Selbstbestimmungsrecht der Völker erklärt. 
Der zweite Rätekongreß im Oktober dieses Jahres hat noch entschlossener 
und genauer dieses unwandelbare Recht den Völkern Rußlands bestängt. 
In seinen Bemühungen, den Willen der genannten Kongresse zur An- 
wendung zu bringen, hat der Rat der Volkskommissare beschlossen, bezüg- 
lich der Nationalitätenfrage seine Tätigkeit auf folgenden Grundsätzen auf- 
zubouen: 1. Freiheit und Souveränität für alle Völker Rußlands, 2. Selbst- 
bestimmungsrecht für die Völker Rußlands bis zu vollständiger Trennung 
und Bildung selbständiger Staaten, 3. Aushebung aller Einschränkungen 
und aller Vorrechte einzelner Völker und Nationalkirchen, 4. freie Entwick- 
lung für alle nationalen Minderheiten und Volksstämme, die auf russischem 
Boden wohnen. Die diesbezüglichen bestimmten Erlasse werden sofort nach 
der Einsetzung der Kommission für Nationalitätenangelegenheiten aus- 
earbeitet werden. Im Namen der russischen Republik: Der Präsident des 
ates der Volkskommissare W. Ulianow (Lenin), der Volkskommissar für 
Nationalitätenangelegenheiten J. Djugaschwili (Stalin). 
20. Nov. Aufforderung an den Armeeoberkommandanten zur 
Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen. 
Der Rat der Volkskommissare richtet an den Armeeoberkomman- 
danten General Duchonin folgende Instrüktion: Der Kat der Volkskom- 
missare, dem durch den Willen des Kongresses der Generalräte die Macht 
übertragen ist, sieht sich verpflichtet, allen kriegführenden Ländern und ihren 
Regierungen vorzuschlagen, daß sie an allen Fronten den Waffenstillstand 
erklären und zu Friedensverhandlungen schreiten, indem sie sich auf die 
demokratischen Prinzipien stützen. Heute, da die Macht der Räte sich in 
den wichtigsten Gegenden des Landes festigt, sieht es der Rat der Volks- 
kommissare als dringend an, den Brüdern in den verbündeten und in den 
feindlichen Ländern diesen Vorschlag zu unterbreiten. Gleichlautende Er- 
klärungen (s. 21. Nov.) werden durch den Kommissar für Ausw. Angelegen- 
heiten an alle Vertreter der verbündeten Länder in St. Petersburg ab- 
gesendet. Sie, Bürger-Oberkommandant der Armee, beauftragt der Rat 
der Volkskommissare nach Inhalt der beigeschlossenen Erklärungen, sich an 
die Träger der militärischen Gewalt der feindlichen Armeen mit dem Vor- 
schlage zu wenden, unverzüglich die militärischen Operationen einzustellen, 
zu dem Zwecke, um zu Friedenskonferenzen zu schreiten. Indem der Rat 
der Volkskommissare Sie mit den Präliminarverhandlungen betraut, be- 
auftragt er Sie, den Rat unmittelbar und fortlaufend erstens über alle 
Phasen der Verhandlungen mit den Vertretern der feindlichen Armeen auf
	        
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