Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

„Kußland. (Dezember 10.) 777 
auf den dann die Vereinbarung zu folgen hätte. Im Gegensatze dazu 
wünschen die Alliierten zuerst zu einer allgemeinen Vereinbarung in Ueber- 
einstimmung mit ihren erklärten Zielen zu gelangen und dann einen Waffen- 
stillstand anzustreben. Bis jetzt ist noch kein Wort von irgendeinem 
deutschen Staatsmanne geäußert worden, aus dem hervorginge, daß die 
Ideale der russischen Demokratie vom Deutschen Kaiser oder von der 
deutschen Regierung geteilt würden. Die Verhandlungen über einen Waffen- 
stillstand werden mit der deutschen Autokratie und nicht mit dem deutschen 
VBolke geführt. Ist es wahrscheinlich, daß Kaiser Wilhelm, wenn er einmal 
sicher ist, daß die russische Armee als Kampfeinheit aufgehört hat zu 
existieren, einen dauerhaften, demokratischen Frieden unterzeichnen wird, 
wie ihn das russische Volk wünscht? Der Friede, den er plant, ist ein 
deutscher imperialistischer Friede. Wenn die Alliierten auch keine Ver- 
treter zu den Waffenstillstandsverhandlungen schicken können, so sind sie doch 
bereit, sobald eine dauerhafte, dem Gesamtwillen des russischen Volkes 
entsprechende Regierung gebildet ist, mit dieser Regierung die Kriegsziele 
und möglichen Bedingungen eines gerechten dauerhaften Friedens zu 
prüfen. Bis dahin erweisen sie Rußland den wirksamsten Beistand, indem 
sie die gewaltigen deutschen Armeen an ihren Fronten festhalten. Der 
Botschafter erinnert sodann daran, daß ohne die britische Flotte und die 
britischen Armeen Rußland heute der Vasall Deutschlands wäre und 
in Europa die Autokratie herrschen würde. Hätte England abseits ge- 
standen, so hätte es keine Revolution und keine Freiheit für das Volk ge- 
geben. Er weist sodann auf den aufrichtigen Wunsch der Engländer hin, 
Rußland in der Krise der Stunde beizustehen, und fragt, ob man dasselbe 
von Rußlands Gefühlen gegen Großbritannien sagen könne. Es sei eine 
Tatsache, daß kaum ein einziger Tag ohne erbitterten Angriff der jetzigen 
Regierungspresse auf Großbritannien vorübergehe. Man könnte glauben, 
daß Großbritannien und nicht Deutschland Rußlands Feind sei, daß Groß- 
britannien den Krieg für seine eigenen kapitalistischen und imperialistischen 
Zwecke hervorgerufen habe und daß es für das Blutvergießen verantwortlich 
sei. Botschafter Buchanan kommt sodann darauf zurück, daß Rußland 
ohne die britische Flotte und die britischen Armeen ein Vasall Deutsch- 
lands wäre und fährt fort: Wären wir darum nicht berechtigt, den An- 
spruch zu erheben, als Freunde behandelt zu werden und nicht pöbelhaften 
Angriffen ausgesetzt zu sein? Lenin hat uns auf eine tiefere Stufe ge- 
stellt als die Türken, denen er, ohne an die schweren Massakers zu denken, 
Armenien ausliefern will. Die Lage der britischen Untertanen in Rußland 
ist nicht beneidenswert. Sie werden augenblicklich zum Gegenstand von 
Angriffen gemacht oder mit Mißtrauen betrachtet. Es gibt keinen Grund 
dafür, es sei denn, daß es ein Verbrechen wäre, ein Land gegen Ver- 
leumdungen der deutschen Agenten zu verteidigen. Zum Schlusse warnt 
der Botschafter die russische Demokratie und sagt: Ich weiß, daß ihre 
Führer den aufrichtigen Wunsch haben, Brüderlichkeit zu schaffen, aber die 
gegen Großbritannien gerichteten Reden und die Versuche, die unternommen 
wurden, in unserem Land eine Revolution anzuzetteln, haben das britische 
Bolk nur in dem Entschlusse, den Krieg bis zu Ende zu kämpfen, bestärkt 
und es veranlaßt, sich um seine jetzige Regierung zu scharen. 
10. Dez. Die Bauernbanken und die Adelsbanken werden ge- 
schlossen und ihre Geschäfte der Staatsbank überwiesen. 
10. Dez. (Petersburg.) Eröffnung des zweiten Kongresses 
der Bauernabgesandten.
	        
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