778 Rußjland. (Dezember 11.)
Zur Präsidentin wird mit 260 Stimmen Maria Spiridonowa gewäbhlt
gegen Tschernow, der 230 Stimmen erhält. Die Verhandlungen des Kon-
gresses, die sehr stürmisch verlaufen, lassen große Gegensätze zwischen der
für die Verf. Versammlung eintretenden Rechten und der auf Seite der
Maximalisten stehenden Linken erkennen. Nach einer Meldung der „Daily
News“ (vom 10.) hat der Kongreß mit 432 gegen 89 Stimmen das Regie-
rungsprogramm der max. Regierung: Bodenverteilung Rußlands, Abrüstung
und Demobilifierung und sofortigen Friedensschluß gebilligt.
11. Dez. Erklärungen zu den Waffenstillstandsverhandlungen.
Die „Petersb. Tel.-Ag.“ meldet: Die russische Abordnung für die
Verhandlungen über den Waffenstillstand ist heute nacht abgereist und wird
der getroffenen Vereinbarung gemäß morgen mittag mit den Abordnungen
der Zentralmächte zusammentreffen. Außer den von dem Rat der Bolks-
kommissare beauftragten Vertretern der politischen Parteien nehmen an
unserer Abordnung von Armee und Flotte entsandte Militärvertreter teil, um
notwendige Aufklärungen zu geben. Ueber einige Punkte ist in den ersten
Sitzungen Einverständnis erzielt worden. Die bürgerliche Presse hatte einen
Mißerfolg dieser Verhandlungen ausposaunt, ist aber nicht übel enttäuscht
worden; ihr Lügenunternehmen wird in allen Punkten entlarvt werden.
Die ausgefallenen Erfindungen von einer Räumung Petersburgs, einer Ab-
tretung Finnlands, einer Zurücknahme der Front um 100 Werst werden
von jedermann genügend gewürdigt werden. Die Unterbrechung der Waffen-
stillstandsverhandlungen auf eine Woche wurde auf russischer Seite dazu
bestimmt, sich noch einmal an die Alliierten zu wenden und noch einmal
die Soldaten und Proletarier aufzurufen, nachdrücklich in den Gang der
Ereignisse einzugreifen; dieser Entschluß ist ausgeführt worden. Der Rat
der Volkskommissare hat den alliierten Ländern vorgeschlagen (s. S. 774 f.),
an den Friedensvorbesprechungen teilzunehmen, aber keine Antwort ist ver-
nehmbar geworden; die Verantwortung fällt auf sie. Die russische Ab-
ordnung reist ab, um die Waffenstillstandsverhandlungen fortzusetzen. Sie
reist, gestützt auf die moralische Kraft der siegreichen Revolution der Ar-
beiter und Bauern, sie reist, um die Kanonen zum Schweigen zu bringen
und die Gewehre sich senken zu lassen an der ganzen Front vom Baltischen
bis zum Schwarzen Meere. Die russische Abordnung wird die begonnenen
Waffenstillstandsverhandlungen zum Abschluß bringen. Sie wird fortfahren,
wie sie angefangen hat, nicht wie einer, der sich ergibt, sondern als bevoll-
mächtigte Vertretung des Landes eines aufrechten Volkes, auf das die Blicke
von Millionen von Arbeitern und Soldaten der ganzen Welt gerichtet sind.
Ueber die Haltung der Ententemächte gegenüber den Waffenstillstands-
verhandlungen meldet am gleichen Tage ein Funkspruch der russ. Regierung
aus Zarskoje Selo weiter: Nachträglich eingelaufenen Nachrichten zufolge
haben die Verbündeten prinzipiell ihr Einverständnis damit erklärt, daß
wir Verhandlungen über einen Waffenstillstand eingeleitet haben, wobei sie
jedoch nicht nur unsere Front, sondern auch die ihre in Betracht zögen, und
zwar unter der Bedingung, daß wir auch nicht um eine Werst zurückgehen
und den deutschen Truppen keine Nahrungsmittel liefern würden. Wenn
gestern in Abrede gestellt wurde, daß sich die Verbündeten mit den Waffen-
stillstandsverhandlungen einverstanden erklärt haben, so muß dazu bemerkt
werden, daß die Chefs der verb. Missionen beim Hauptquartier, von denen
in dem Telegramm des Allgem. Armeekomitees an den Prov. Vollzichungs-
ausschuß der Eisenbahner die Rede war, unmittelbar mit ihren Regierungen
verkehren, da sie ihren Gesandtschaften nicht unterstehen. (Diese Angaben
Über das Verhalten der Entente sind anderweitig nicht bestätigt.)