6 Die österreichisc-ungerishe Monarchie und die Nachfolgestaaten. (Jan. 22.—25
bezeichnen das Zugeständnis der Regierung als Beginn einer wirklichen
Demokratisierung Oesterreichs. Die Christlichsoz. werfen den Soz vor, daß
sie den in der Bevölkerung bestehenden Unwillen über die Ernährungs-
verhältnisse zu parteipolitischen Zwecken ausgenützt hätten.
Die Stellung des Kabinetts Seidler, von dessen bevorstehender De-
mission bereits gesprochen wurde, wird durch die entschiedene Stellungnahme
des Ministerpräsidenten gegen die Tschechen wesentlich gebessert. Bei den
Deutschen ist die Genugtuung so allgemein, daß die Annahme des Budget-
provisoriums gesichert ist.
22. Jan. Zusammenschluß der deutsch-österr. Parteien.
Das „k. k. Telegr.-Korr.-Bur.“ meldet: Die deutsch-nationalen Par-
teien des Abgeordnetenhauses haben beschlossen, sich zu einem Verbande
zusammenzuschließen, der den Namen führt: Verband der deutsch nationalen
Parteien im österr. Abgeordnetenhause. Der neue Verband zählt 91 Mit-
glieder. Die Leitung liegt einem fünfund zwanziggliedrigen Ausschusse ob.
Zum Obmann wurde Abg. Waldner, zu Lbmannstellvertretern Wolf und
Sylvester gewählt. Mit Ausnahme der Abg. Heilinger und Redlich gehören
alle Abg. des früheren (im Okt. 1917 (s. Geschhal. 1917 Tl. 2 S. 188 f.]
durch die Deutsch-radikale Partei gesprengten, Deutschen Nationalverbandes
dem neuen Verbande an.
24.—25. Jan. (Österr. Delegation.) Czernin über Brest-
Litowsk und Wilsons Senatsrede.
Im Ausschuß für Aeußeres hält zu Beginn der Sitzung der
Minister des Aeußern Graf Czernin eine große Rede, worin er zunächst
über den Stand der Friedensverhandlungen berichtet und die Schwierig-
keiten darlegt, die dabei zu überwinden sind. Diese Schwierigkeiten ergäben
sich schon daraus, daß die Verhandlungen bei offenen Fenstern stattsinden.
Es sei ausgeschlossen, daß Verhandlungen von dem Umfang und der Tiefe
der gegenwärtigen von der ersten Minute an glatt und ohne den geringsten
Zwischenfall verlaufen könnten. Desto notwendiger sei es, daß angesichts
der vollständigen Oeffentlichkeit der Verhandlungen das Hinterland und vor
allem die Führer ruhige Nerven behielten. Die Partie müsse mit kaltem
Blute zu Ende gespielt werden, und sie werde zu einem guten Ende kommen,
wenn die Völker der Monarchie ihre verantwortlichen Vertreter auf der
Friedenskonferenz unterstützten. Die Basis, auf der Oesterreich-Ungarn ver-
handelt, sei ein Frieden ohne Kompensationen und ohne Annexionen; das
habe er bei seinem Amtsantritt erklärt und davon weiche er auch jetzt nicht
ab. Er verlange von Rußland kein Quadratmeter und keinen Kreuzer, und
wenn sich Rußland auf den gleichen Standpunkt stelle, müsse der Friede
zustandekommen. Die zwei größten Schwierigkeiten, die es verhindern, daß
die Verhandlungen so schnell, wie allgemein gewünscht werde, von statten
gingen, seien folgende: einmal haben die Mittelmächte nicht nur mit Ruß-
land allein zu verhandeln, sondern mit verschiedenen neuentstandenen russ.
Reichen, die untereinander ihre Kompetenzsphäre noch gar nicht abgegrenzt
und geklärt haben. In Betracht kämen das von Petersburg geleitete Ruß-
land, die Ukraine, Finnland und der Kaukasus. Mit der Ukraine seien die
Verhandlungen schon weit gediehen; während jedoch die ukr. Republik auf
dem Standpunkt stehe, daß sie vollkommen selbständig mit den Mittelmächten
zu verhandeln berechtigt sei, halte die russ. Delegation daran fest, daß, da
die beiderseitigen Grenzen noch nicht abgesteckt seien, Petersburg das Recht
habe, an den Verhandlungen der Mittelmächte mit der Ukraine teilzunehmen.
Dazu komme, daß jetzt die in Charkow gebildete Arbeiter- und Bauern-