Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Die ssterreichisch-ungarische Monarchie und die Nachfelsestsaten. (Dez. 22.) 123 
und degenerierte Zarismus mußte fallen, aber die russische Revolution war 
und ist nicht schöpferisch genug. Die Russen haben keine Administration 
gelernt, und ohne diese gibt es keinen Demokratismus. Ich zweifle daran, 
daß die Russen ohne Hilfe der Verbündeten sich werden bald helfen können. 
Was die Deutschen in unseren Ländern anbelangt, so ist unser Pro- 
gramm schon längst bekannt. Das von den Deutschen bewohnte Gebiet ist 
unser Gebiet und bleibt unser. Wir haben unseren Staat aufgebaut, wir 
haben ihn erhalten und bauen ihn von frischem auf, und ich möchte nur 
wünschen, daß unsere Deutschen dabei mit uns arbeiten. Ich begreife wohl 
und rechne damit, daß sie sich in einer schweren Situation befinden. Sie 
haben sich leider gar zu willig zum pangermanischen Eroberungszuge gegen 
das Tschechische bekannt. Sie haben die Weltsituation nicht begriffen, sie 
waren von den anfänglichen scheinbaren Erfolgen betäubt. Unsere Deutschen 
sind Opfer des falschen Oesterreichertums und der kurzsichtigen Habsburger 
geworden. Es ist psychologisch nur begreiflich, daß sie die unangenehme 
Enttäuschung unlieb tragen und daß es sie schmerzt, daß wir recht hatten 
und haben. Ich wiederhole: Wir schufen uns unseren Staat, und dadurch 
wird die staatsrechtliche Stellung unserer Deutschen bestimmt, welche ur- 
sprünglich als Kolonisten und Emigranten in unser Land kamen. Wir 
haben das vollste Recht auf die Reichtümer unserer Gebiete, welche unerläß- 
lich sind für unsere Industrie und für die Industrie der Deutschen, welche 
unter uns leben. Wir wollen und können auch nicht unsere beträchtlichen 
tschechischen Minoritäten im sogenannten deutschen Gebiet opfern. Wir sind 
auch überzeugt, daß die wirtschaftlichen Vorteile unsere Deutschen notwendiger- 
weise zu uns verweisen. Es hängt von ihnen ab, sich auf einen richtigen 
Standpunkt zu uns zu stellen. Ich wünsche aufrichtig, daß sie sich sobald 
als möglich mit uns einigen. Niemand kann uns verargen, wenn wir nach 
so vielen Erfahrungen vorsichtig sein werden, aber ich versichere, daß die 
Minoritäten in unserem Staate der vollen nationalen Rechte und der bürger- 
lichen Eintracht teilhaftig werden. Die amerikanische Republik nahm lieber 
den Bürgerkrieg auf, als daß sie die Sezession ihres Südens zugelassen 
hätte. Auch wir lassen niemals die Sezession unseres Nordens zu. Durch 
den Ausbau der wahren demokratischen Selbstverwaltung schaffen wir uns 
ein passendes Mittel für die Lösung der Nationalitätenfrage. Eine gerad- 
linige Teilung mit Rücksicht auf die große und sonderbare Mischung beider 
Nationen ist nicht möglich, und das Problem ist nicht mehr ein nationales, 
sondern ziemlich stark auch ein soziales. Unser Verhältnis zu den österr. 
Deutschen ist nicht nur durch den Ausgang des Krieges, sondern auch durch 
unser ganzes nationales Programm gegeben. Wir haben uns mit Oester- 
reich und Ungarn vereinigt und Oesterreich-Ungarn gebildet, wir waren die 
Perle Oesterreichs, und so haben wir bewiesen, daß wir auch mit den 
Deutschen freundschaftlich zusammen leben könnten, aber die Habsburger 
haben uns schlecht belohnt. Der Präsident erörtert die Politik des Dualis= 
mus und sagt dann: Es ist nicht meine Aufgabe, den österreichischen Deutschen 
einen Rat zu erteilen; es ist jedoch natürlich, daß die Verbindung unserer 
Länder mit Oesterreich manche, namentlich wirtschaftliche Beziehungen hinter- 
lassen hat. Wenn die österr. Deutschen ihrer Herrschsucht und den pan- 
germanischen Plänen entsagen, wenn sie sich uns gegenüber loyal benehmen 
und sich in unsere Angelegenheiten nicht einmischen werden, dann wären 
mit ihnen anständige nachbarliche Beziehungen möglich. Unser Verhältnis 
zu Deutschland werden wir nach jener Politik regeln, die Deutschland uns 
gegenüber anbahnen wird. Wir werden uns korrekt verhalten und wir 
wünschen, daß die Niederlage des preuß. Militarismus ein Sieg des deutschen 
Volkes werde. Wir wünschen, daß das deutsche Volk sich angewöhne, sich
	        
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