Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Stalien. (Nov. 20.—27.) 319 
dann an die Größe und Gewalt des jüngsten ital. Sieges. An einem und 
demselben Tage wehte die ital. Trikolore über Udine, Rovereto, Trient und 
Triest. Angesichts dieses großen Triumphes habe Italien nur Worte des 
Dankes gegen jene, die dieses große Werk durchgeführt haben. O. zollt auch 
den Verbündeten, die an der Seite Italiens standen, Dank und sagt: Ehre 
der Waffenbrüderschaft jener, die mit derselben aufopfernden Hingebung für 
Italien kämpften wie für ihr eigenes Vaterland, während ital. Soldaten 
auf den Schlachtfeldern Frankreichs und der Balkan-Halbinsel die Ehre des. 
Vaterlandes hochhielten. O. weist dann auf die unberechenbaren Aenderungen 
hin, die in internationaler und politischer Hinsicht aus diesem Kriege ent- 
stehen werden. Der Anachronismus des österr. Staates sei verschwunden, 
die Türkei auf ungefährliche kleine Teile reduziert, die im russ. Reiche ent- 
haltenen Bestandteile wieder hergestellt und eine der größten Schandtaten 
der Geschichte wieder gutgemacht: die Zertrümmerung Polens. Ueberall 
triumphierte das Prinzip der Nationalitäten, die stärkste Bejahung des demo- 
kratischen Geistes. Der Umwandlung der Staaten entspreche jene der Re- 
gierungen. Das Kriegsende finde keine jener militärischen Autokratien mehr 
am Leben, die zu Beginn des Krieges herrschten. O. erwähnt dann die 
Probleme der Uebergangswirtschaft vom Kriege zum Frieden sowie die bereits 
getroffenen Maßnahmen und erklärt, niemals war es notwendiger als in 
dieser Stunde, die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten. Alle Kräfte des 
Landes müssen der sofortigen und dringenden Wiedergutmachung dessen ge- 
widmet sein, was der Krieg zerstört hat. Es ist Sache des Parlaments, 
seinen unabänderlichen Entschluß zu wiederholen und von heute an alle 
seine Kraft und seine ganze Energie auf der gleichen Stufe zu erhalten wie 
während des Krieges selbst. Die Irrtümer, unter denen wir gelitten haben, 
müssen uns für die Zukunft vor den Drohungen des Krieges bewahren, 
so daß der Krieg den kommenden Geschlechtern als etwas erscheinen muß, 
das einer vorgeschichtlichen Zeit angehört. Es ist nicht sosehr die Frage, 
die Formen des gesellschaftlichen Zusammenwohnens zu finden, die für jeden 
kommenden Konflikt eine friedliche Lösung in sich schließen, als jene Wahr- 
heit zu empfinden und zu bekennen, daß in der Welt die Gewalt nicht die 
Quelle des größeren Rechtes ist, sondern der größeren Verantwortung und 
der größeren Pflichten. So hat Wilson der Theorie des deutschen Im- 
perialismus von der Macht des Stärkeren jene von der Pflicht des Stärkeren 
gegenübergestellt und ihr die edelste und konkreteste Form gegeben, und wie 
das innere Recht der Staaten weniger auf dem Zwang als auf dem all- 
gemeinen Gewissen der Bürger beruht, so muß das internationale Recht 
des neuen Zeitalters auf dem Gewissen der Welt ruhen. Dieses Weltgewissen 
einer Gruppe von Staaten, die Hunderte von Millionen Seelen umfaßten, 
ist nun zu einem immer gebieterischen Gesetze geworden, dem wir alle unsere 
Handlungen untergeordnet haben und das uns zum heutigen Triumphe 
geführt. Aber der gegenwärtige Krieg hat nicht nur die ganze Menschheit 
mit sich gerissen, sondern auch alles, was bisher im moralischen, politischen 
und sozialen Leben gegeben war, angegriffen und überrannt. Dieses neue 
und einzige internationale Recht muß aufs kräftigste einwirken auf das innere 
Leben der Staaten und sich dabei auch auf das Privatrecht ausdehnen, das 
seit dem römischen Rechte starr und in einzelnen Teilen sogar tot geblieben. 
Alle diese Formen müssen jetzt geprüft werden. Die gewaltige Produktion 
von Reichtümern, die in erster Linie nötig sind zur Wiedergutmachung der 
entstandenen Schäden und dann auch zur Freimachung aller jener, bisher 
für Kriegsziele verschleuderten Energien, kann nur existieren, wenn sie unter 
die Botmäßigkeit einer wahren sozialen Gerechtigkeit gelangt. Es darf keine 
Gewalt von keiner Seite mehr geben: Quaerite justitiam et omnia vobis data
	        
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