Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

352 Belgien. (Sept. 19.) 
lich, mit der Zeit noch befestigt. In wirtschaftlicher Beziehung hat Deutsch- 
land nicht die Absicht, Belgien Bedingungen aufzuerlegen, die ihm schaden 
könnten. Auch auf diesem Gebiete soll Belgien volle Handlungsfreiheit be- 
sitzen. Da ein Wirtschaftskrieg, der dem Friedensschlusse folgte, weder im 
Interesse Belgiens noch in dem Deutschlands läge, schlägt die deutsche Re- 
gierung vor, daß die Handelsverträge, die vor dem Kriege zwischen den 
beiden Ländern abgeschlossen wurden, noch mehrere Jahre nach dem Kriege 
in Kraft bleiben. Wenn die belg. Regierung Wünsche bezüglich einer Ab- 
a#nderung dieser Verträge zu formulieren hätte, wäre die deutsche Regierung 
bereit, sie wohlwollend zu prüfen. Der Ausdruck „Faustpfand“, dessen sich 
der Reichskanzler im Laufe einer Erörterung im Hauptausschuß des Reichs- 
tages bedient hatte, ist im Ausland falsch ausgelegt worden. Es erscheint 
deshalb als angezeigt, um neuen Mißdeutungen vorzubeugen, auf dieses 
Wort zurückzukommen: Die deutsche Regierung fordert keinerlei Faustpfand 
in Beziehung auf Belgien, d. h. mit Bezug darauf, was die belg. Frage be- 
trifft. Sie begnügt sich damit, zu verlangen, daß Belgien sich bereit findet, 
bei der Entente für die Zurückerstattung des deutschen Kolonialbesitzes ein- 
zutreten; ein gleichwertiges Arrangement hinsichtlich dieses Besitzes würde 
unserer Forderung genügen. Bei unseren kürzlichen Besprechungen haben 
Ew. Exz. auf die flämische Frage angespielt. Nach Informationen, die ich 
inzwischen erhalten habe, wünscht die deutsche Regierung, daß Belgien nach 
dem Kriege die flämische Frage in einem Sinne löst, der den Wünschen der 
beteiligten Kreise entspricht. Sie wünscht ferner, daß die Anhänger der 
flämischen Bewegung, die, nach der Meinung der belgischen Regierung, sich 
in dieser Bewegung straffällig gemacht haben, amnestiert werden. Diese 
Forderung steht nicht im Widerspruch zu der Erklärung, die Belgien volle 
politische Freiheit zusichert. Ich glaube so, die Absichten der deutschen Re- 
gierung vollständig dargelegt zu haben, und ich drücke die Hoffnung aus, 
daß ihre Stellungnahme in der belgischen Frage künftighin in einer Weise 
klargestellt ist, die zu keiner Mißdeutung Anlaß gibt und zugleich im weiten 
Umfange den Wünschen der belg. Regierung, wie auch denen des belg. Volkes 
entspricht. Genehmigen Sie usw. Graf Törring."“ 
Bei seiner Rückkehr nach München fand Graf Törring zu seiner großen 
Ueberraschung einen Brief v. Hintzes vor. Dieser klagte ihn an, zu große 
Konzessionen gemacht zu haben, und erklärte ihm, daß die dem belg. Ge- 
sandten übergebene Note weder mit den Intentionen der deutschen Regierung 
noch im einzelnen mit dem, was er (v. Hintze) zu diesem Gegenstand ge- 
sagt habe, übereinstimme. Graf Törring war außerordentlich erstaunt. Noch 
heute versichert er auf das bestimmteste, daß seine Note v. 23. Aug. strikte 
mit den Vorschlägen übereinstimme, die er zu machen beauftragt gewesen 
sei. Diese Differenz der Auffassungen wurde nicht ausgeklärt. Die Mission 
des Grafen Törring war nicht unbeachtet geblieben. Eine Depesche der 
Agentur Reuter deutete dies anfangs Sept. an. Auch die belg. Regierung 
sah sich verpflichtet, offiziell Stellung zu nehmen und eine Mitteilung zu 
veröffentlichen, die, ohne auf Einzelheiten der Verhandlungen einzugehen, 
den gepflogenen Unterhandlungen ein Ende bereitete. Am 29. Sept. über- 
mittelte der belg. Gesandte dem Grafen Törring eine Note, deren Inhalt 
mit der oben mitgeteilten amtlichen Meldung v. 19. Sept identisch ist. Diese 
Note, deren Text von der belg. Regierung auch den Alliierten übermittelt 
wurde, war von einem Brief begleitet, der darlegt, daß, nachdem der Brief 
des Grafen Törring an den belg. Gesandten in Bern v. 23. Aug. durch die 
Presse zur Kenntnis der Oeffentlichkeit gelangt sei, die belg. Regierung sich 
verpflichtet sehe, durch einen amtlichen Kommentar gewisse durch die Zei- 
tungen irrtümlich wiedergegebene Nachrichten richtig zu stellen.
	        
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