Belgien. (Olt. 18.—Nov. 10.) 353
18. Okt. Amnestie im besetzten Belgien.
Das „WIB.“ verbreitet am 20. folgende amtliche Meldung aus Brüssel:
Der Generalgouverneur hat u. d. 18. Okt. allen Belgiern und Angehörigen neu-
traler Staaten, die von deutschen Militärgerichten oder Militärbefehlshabern
im Gebiete des Generalgouvernements zu Freiheitsstrafen verurteilt worden
sind und ihre Strafe zurzeit in Belgien verbüßen, den Rest der Strafe im
Gnadenwege erlassen. Ausgeschlossen sind diejenigen, welche wegen gemeiner
Verbrechen verurteilt sind. Der Generalgouverneur hat weiter bestimmt,
daß diejenigen Belgier und Angehörigen neutraler Staaten, gegen die im
militärpolizeilichen Verfahren Freiheitsentziehung verfügt worden ist und
die sich zurzeit in Belgien oder Deutschland in Lagern befinden, freigelassen
werden. Mit der Entlassung wird am 21. Okt. d. J. begonnen werden. Nur
eine beschränkte Anzahl von Persönlichkeiten, deren freie Bewegung in Bel-
gien nach der Natur der Dinge nicht möglich ist, solange daselbst noch ge-
kämpft wird, wird erst bei der Räumung Belgiens in Freiheit gesetzt werden.
Am 4. Nov. teilt das „WTB.“ amtlich mit: Die Freilassung der in
Deutschland befindlichen belg. Zivilgefangenen nach den Grundsätzen des
für Belgien ergangenen Amnestieerlasses ist angeordnet worden. Die Sonder-
behandlung der wehrfähigen Belgier ist aufgehoben.
1. Nov. Schutz der belgischen Kohlengruben.
Der Chef der Politischen Abteilung in Brüssel, Freiherr v. d. Lancken,
macht dem dortigen span. Gesandten folgende Mitteilung: Ich erlaube mir
auf unsere Unterhaltung Bezug zu nehmen in der Ew. Exz. sich zugunsten
der belg. Kohlengruben verwandt haben, welche durch in militärischem
Interesse liegende Maßnahmen bedroht erscheinen. Ich beehre mich in dieser
Angelegenheit an Ew. Exz. folgende Fragen zu richten: Würden die neu-
tralen Regierungen Spaniens und Hollands sich bereit finden, alle belg.
Kohlengruben nach der Räumung durch die deutschen Truppen unter ihren
Schutz zu nehmen und gegenüber der kaiserl. Regierung die Garantie dafür
zu übernehmen, daß keinerlei Kohlenförderung während der Dauer der
Feindseligkeiten stattfindet? Würden die genannten Regierungen auch die
Garantie dafür übernehmen, daß während dieses Zeitraumes die vorhandenen
Kohlenvorräte unbenützt bleiben mit Ausnahme der Mengen, die für die
Erhaltung der Kohlengruben unbedingt notwendig sind? Ich wäre Ew. Exz.
für eine möglichst umgehende Antwort dafür dankbar, welche Stellung die
belg. Regierung und ihre Verbündeten gegenüber einer derartigen Abmachung
einnehmen würden. — Eine Antwort der Alliüierten erfolgt nicht.
7. Nov. Amerik. Protestnote an Deutschland betr. die Zer-
störung belg. Kohlenbergwerke. (S. Ver. St.)
10. Nov. (Brüssel.) Der deutsche S.-Rat übernimmt die Ge-
schäfte des deutschen Generalgouvernements.
In der Stadt verüben marodierende deutsche Soldaten große Aus-
schreitungen. Zwischen der belg. Bevölkerung, die eine chauvinistisch-deutsch-
feindliche Haltung einnimmt, und deutschen Truppen kommt es zu Zu-
sammenstößen, wobei es auf deutscher Seite 40 Tote gibt. Der S.-Rat
beschließt die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen belg. Natio-
nalität. In der Folge bildet sich ein auch die übrigen belg. Städte ver-
tretender Vollzugsausschuß des Zentral-S.-Rats Brüssel, dem es gelingt, die
Stadt von versprengten Soldaten zu säubern und einen geordneten Abmarsch
der deutschen Truppen zu sichern. Am 15. übergibt der Vollzugsausschuß
die Stadt den belg. Behörden; am 16. morgens ziehen die belg. Vorhuten ein.
Europäischer Geschichtskalender. LIX#5 23