Rußland. (März 1.) 419
gegen die inneren Feinde nötig; sie könnten nicht nach der Front geschickt
werden. Noch ein Grund spreche für den Friedensschluß: die Deutschen
seien mit den Imperialisten von West. Europa noch zu keiner Einigung
gelangt. Diese Einigung werde indes kommen. Dann sei es aber für einen
Friedensschluß zu spät; denn dann würden sich die Imperialisten der
ganzen Welt zusammentun, um die russ. Revolution zu zermalmen. Wenn
jetzt Rußland keinen Frieden schließe, müsse man überdies damit rechnen,
daß die Deutschen binnen zehn Tagen in Petersburg seien.
Um Mitternacht v. 22. 23. empfängt die Funkenstation Zarskoje Selo
ein deutsches Funkentelegramm, gerichtet an den Rat der Volkskommissare
und unterzeichnet Hoffmann, in dem mitgeteilt wird, daß die deutsche
Antwort (s. Tl. 1 S. 99f.) um sechs Uhr morgens dem russ. Kurier aus-
gehändigt worden sei, der sofort die Rückreise angetreten habe. Ein zweiter
Funkspruch, an Trotzki gerichtet und Graf Czernin unterzerschnet, teilt mit,
daß Oesterreich-Ungarn zusammen mit seinen Verbündeten Friedensverhand-
lungen einzuleiten bereit sei.
Am 24. früh 4.30 Uhr nimmt der Hauptvollzugsausschuß der
Sopjets in einer Vollsitzung nach heftiger Debatte mit 126 gegen 85 Stimmen
bei 26 Stimmenthaltungen (2 Anarchisten nehmen an der Abstimmung
nicht teil) die deutschen Bedingungen an und beschließt, eine Abordnung
zur Unterzeichnung des Friedens nach Brest-Litowsk zu senden.
In der „Krasnaja Gazeta“ bespricht Lenin die Annahme der
deutschen Friedensbedingungen Er erinnert an seine früheren Erklärungen,
der Friede werde Rußland früher oder später aufgezwungen werden. Nur
Phrasenhelden könnten von der Fortsetzung des Krieges sprechen. Die ganze
russ. Bourgeoisie habe sich beim Gedanken an die bevorstehende Ankunft
der Deutschen in der Erwartung des Sturzes der Sowjets durch die Deutschen
gefreut. Wer also gegen den sofortigen Frieden sei, selbst zu den schlimmsten
Bedingungen, wolle die Abdankung der Sowjets. Der Friede werde die
Revolution in Deutschland und im übrigen Europa nicht aufhalten können
und dadurch die Organisation einer mächtigen revolutionären Armee er-
möglichen. — Die „Nowaja Schisn“, das Organ Gorkis, nennt die
Annahme der deutschen Bedingungen den Beweis für den moralischen Ver-
fall und intellektuellen Tiefstand der russ. Regierung. Der Friede bedeute
den Selbstmord der Maximalisten.
1. März. Unterzeichnung der russ.-finn. Liquidationsakte.
In Petersburg wird zwischen dem finn. Volkskommissar für Ausw.
Angelegenheiten Sirola und der russ. Regierung ein Vertrag (die sog. Liqui-
dationsakte) unterzeichnet, der die Beziehungen zwischen Rußland und (dem
maxim.) Finnland regelt. Danach werden die bisherigen Grenzen zwischen
Rußland und Finnland beibehalten. Doch tritt Rußland einen Landstreifen
des bisher russ. Gebietes am Eismeer an Finnland ab, das dadurch einen
Zugang zum nördlichen Eismeer erhält. Der Uebergang des Gebiets wird
an die offene Zustimmung der Ortsbevölkerung geknüpft. Die neue Grenze
beginnt am Korvantu-Turi-Berg, führt an die Quellflüsse des Petsamo-Elf,
umgeht dessen östliche Zuflüsse und erreicht über den Muotkavuono-Fjord
und die Halbinsel Fiskar die Küste des Eismeers bei Sopuska. Ferner
tritt Rußland alle Immobilien an Finnland ab, besonders alle Staatsfabriken,
beschlagnahmten Schiffe, Telegraphen und Festungen. Finnland tritt dagegen
den auf russ. Gebiet liegenden Teil der Bahn Helsingfors—Petersburg von
Bjelo-Ostrow an mit Telegraph und Kabel ab. Ferner hat Finnland an
Rußland einen schmalen Küstenstreifen mit Batterien an der Einfahrt nach
Vetersburg abzutreten nebst dem Servitut für die Zugänge über finnländ.
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