Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

450 Rußland. (Juli 6.) 
1000 Mann, welche sich geweigert hatte, die ihnen anvertrauten Kriegs- 
schiffe nach Sewastopol zu führen, und anstatt dessen die Schiffe bei Nowo- 
rossiisk versenkte, einen Versuch eines bewaffneten Aufstandes, wozu als 
Signal die Ermordung des deutschen Botschafters durch die Mitglieder der 
linken soz.-rev. Partei, Anarejew (richtig: Alexandrow) und Blumkin, diente. 
Bewaffnete Abteilungen der linken soz.-rev. Partei besetzten plötzlich die Post 
und den Telegraph, verhafteten den Vorsitzenden des Moskauer Sowjets 
Smidowitsch, den Vertreter des Volkskommissars des Innern Latis und 
den Vorsitzenden der außerordentlichen Kommission des Kampfes mit der 
Gegenrevolution Dserjinski. Der Sowjet der Volkskommissare sandte im 
Laufe des 6 und 7. Juli an die Arbeitler und an die Moskauer Garnison 
einen Aufruf um Unterstützung des Sowjets von ganz Rußland. Der Auf- 
stand wurde vollkommen unterdrückt und einige Hundert der noch am Leben 
gebliebenen Aufständischen verhaftet. Es ist eine besondere Untersuchungs- 
kommission unter dem Vorsitz des Volkskommissars der Justiz Stutschka 
errichtet worden. Die Kommission legte klar, daß die linke soz.-rev. Partei, 
welche nur während der Dauer von zwei Stunden den Telegraph in den 
Händen hatte, auf telegraphischem Wege in Petrograd und Tula einen Auf- 
stand hervorzurufen versuchte und wunderliche Gerüchte über die Beziehungen 
der Sowjetregierung zu den Deutschen verbreitete, die imstande waren, das 
Volkegemüt aufzuwühlen. Auf dem Kongreß der Sowjets war die Aufstands- 
partei in der Minderzahl vertreten, jedoch wäre die Sowjetregierung zweifellos 
gestürzt worden, falls es möglich gewesen wäre, einen Erfolg zu erzielen. 
Die linken Soz.-Rev. waren ursprünglich mit den Bolschewiki zu- 
sammengegangen und stellten 7 von den 18 Volkekommissaren, seit dem Brester 
Frieden hatten sie sich aber von Lenin und Trotzki losgesagt. Das Kampf- 
mittel der Soz.-Rev. war von jeher der Terror. (Vgl. über diese Partei 
den Aussatz in der „Voss. Zig“ 1918 Nr. 344.) Sawinkow war unter Kerenski 
Kriegsminister (s. GeschKal. 1917 Tl. 2 S. 721). Das Ziel der Soz.-Rev. 
war offenbar, im Interesse der Entente die Herrschaft der Bolschewisten zu 
stürzen und Rußland zur Wiederaufnahme des Krieges gegen Deutschland 
zu zwingen. Gleichzeitig mit dem Umsturzversuch in Moskau begann auch 
ein (rasch unterdrückter) Aufstand in Petersburg und in Jaroslaw, das 
erst nach vierzehntägigen Kämpfen von den Rätetruppen wiedergenommen 
wurde Auch der Oberbefehlshaber der Rätetruppen gegen die Tschecho- 
Slowaken Murawjew (link. Soz.-Rev.) erklärte sich am 6. Juli gegen die 
Räteregierung und proklamierte den Krieg gegen Deutschland, indem er an 
alle Armeen die Mitteilung richtete, daß die Deutschen Orscha genommen 
hätten und nach Moskau vorgingen, und den Befehl gab, alle Positionen 
gegen die Tschecho-Slowaken aufzugeben und eilig zum Schutze Moskaus 
heranzurücken. Er wurde aber von seinen eigenen Truppen im Stich gelassen 
und verübte in Simbirsk Selbstmord. (Ueber die Pläne der Gegenrevolutionäre 
s. auch den amtlichen Bericht der „Petersb. Tel.-Ag.“ v. 25. Juli in der 
„Nordd. Allg. Ztg.“ 1918 Nr. 381.) 
Anm 17. bespricht die Moskauer „Prawda“ die Vorfälle in Jaroslaw, 
wo drei Bolschewiken von gegenrevolutionären Offizieren getötet wurden, 
und hebt die Notwendigkeit der Anwendung des Massenterrors her- 
vor, der nach Beschluß des soeben beendeten allruss. Sowjetkongresses als 
Kampfmittel gegen das Bürgertum angewandt werden müsse. Bis jetzt habe 
man die Widerstand leistenden Offiziere und Junker, sogar die Anführer 
der Monarchisten, unbehelligt gelassen, aber diese Schlangen könnten noch 
einmal auf der Welle einer Bewegung von Weißen Garden auftauchen und 
für die frühere Großmut blutige Rache nehmen. Auch der begnadigte General 
Krasnow zahle jetzt allen, die in seine Hände kämen, mit Bilei.
	        
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