Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Velen. (Okt. 7.) 509 
Verpflichtung aufzuerlegen, zusammen mit Vertretern der politischen Gruppen 
ein Wahlstatut für einen auf breite demokratische Prinzipien gestützten poln. 
Landtag auszuarbeiten und dieses Statut spätestens innerhalb Monatsfrist 
dem Regentschaftsrate zur Bestätigung und Bekanntmachung vorzulegen; 
4. unmittelbar darauf den Landtag zu berufen und seiner Bestimmung die 
weitere Einrichtung der obersten staatlichen Gewalt zu übergeben, in deren 
Hände der Regentschaftsrat in Uebereinstimmung mit dem von ihm ab. 
gelegten Eide seine Gewalt niederzulegen hat. Polen! Unser Geschick ruht 
jetzt schon in bedeutendem Maß in unseren Händen. Erweisen wir uns der 
mächtigen Hoffnungen würdig, welche unsere Väter über ein Jahrhundert 
hindurch in Unterdrückung und Not nährten. Möge alles verstummen, was 
uns untereinander trennen kann, und möge nur eine mächtige Stimme er- 
schallen: Das vereinigte unabhängige Polen! (Gez.) Erzbischof Kakowski, 
v. Ostrowski, Fürst Lubomirski, Ministerpräsident Kucharzewski. 
Durch diesen Aufruf, der in seinen Forderungen den nationalpoln. 
Wünschen Rechnung trägt, versucht der Regentschaftsrat das wegen seiner 
der Volksstimmung nicht entsprechenden Stellung zu den Okkupationsmächten 
verlorene Vertrauen im poln. Volke wiederzugewinnen. 
7. Okt. Telegrammwechsel zwischen Reichskanzler und Regent- 
schaftsrat betr. Okkupationsfrage. 
Der Reichskanzler richtet an den poln. Regentschaftsrat folgendes 
Telegramm: Bei der Uebernahme des Reichskanzleramtes liegt mir be- 
sonders am Herzen, dem hohen Regentschaftsrat des Königreichs Polen zu 
versichern, daß ich im Einklang mit der im Reichstag abgegebenen Er- 
klärung den festen Entschluß habe, das Verhältnis des Deutschen Reichs zu 
dem neuentstandenen Königreich Polen im Geist der Gerechtigkeit und des 
Verständnisses der beiderseitigen Lebensinteressen zu gestalten und mich um 
die möglichst schnelle Beseitigung der noch bestehenden Lasten der Okkupao- 
tion zu bemühen. Im Vertrauen, daß der hohe Regentschaftsrat sowie auch 
die Königlich poln. Staatsregierung Verständnis für meine Bestrebungen 
haben werden, werde ich unverzüglich zu ihrer Verwirklichung die nötige 
Anordnung erlassen. Max, Prinz von Baden, Reichskanzler. 
(Halbamtlich wird von dem „WTB." dazu bemerkt, daß das Tele- 
gramm nicht die sofortige Aufhebung der deutschen Okkupation in Polen 
bedeute. Für eine derartige Auslegung biete der Wortlaut des Telegramms 
auch nicht den geringsten Anhalt. Das Telegramm stelle vielmehr lediglich 
in Aussicht, daß manche unbequem gewordenen Erscheinungen der Okkupations- 
verwaltung gemildert werden sollen.) 
Als Erwiderung sendet der Regentschaftsrat folgendes Telegramm 
an den Reichskanzler: Der Regentschaftsrat des Königreichs Polen strebt 
immer danach, das Verhältnis des auferstandenen Königreichs Polen zum 
benachbarten Deutschen Reich im Geiste der Gerechtigkeit und des gegen- 
seitigen Verständnisses zu gestalten. Er begrüßt daher mit Befriedigung die 
in den Worten Ew. Großherzogl. H. enthaltene Ankündigung einer möglichst 
schnellen Beseitigung der übrigen Lasten der Okkupation als bedeutsamen 
Schritt auf diesem Wege. Möge es Ew. Großherzogl. H. gegeben sein, dem 
deutschen Volke einen dauernden Frieden nach dem Grundsatze der allgemein 
anerkannten Rechte aller Völker auf Selbstbestimmung und freie Entwick- 
lung zu sichern. 
Am 14. teilt die „Nordd. Allg. Ztg.“ zur Okkupationsfrage halb- 
amtlich mit: Die militärische Okkupation in Polen bleibt, wie wir hören, 
bestehen. Die Zivilverwaltung dagegen soll abgebaut werden. Da aber Polen 
noch nicht über die nötige Beamtenschaft verfügt, werden vorläufig nur
	        
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