Turkei. (Olt. 14. 19.) 525
Er flehe zu Gott, daß er die türk. Nation vor Zusammenbruch und Ver-
zweiflung behüte und Spaltungen und Streitigkeiten nicht zulasse. — Die
Kammer wählt Halil Bei mit 70 Stimmen zum Präsidenten gegen 50, die
für Fethi waren. Achmed Riza Pascha wird zum Senatspräsidenten ernannt.
14. Okt. Kabinettswechsel.
An die Stelle des Kabinetts Talagat (seit 4. Febr. 1917, s. dort), das
einige Tage vorher als ungeeignet für die kommenden Friedensverhand-
lungen seine Entlassung gegeben hat, tritt folgendes Kabinett: Großwesir
und gleichzeitig Krieg: Jäzet Pascha, Inneres: Fethi Bei (früh. türk. Ge-
sandter in Sofia), Marine: Reuf Bei (Führer des türk. Kriegsschiffes
„Hamidie“ während des Balkankrieges), Finanz: Dschavid Bei. Die Ge-
schäfte des Ministeriums des Aeußern werden einstweilen von Nabi Bei
(früh. türk. Botschafter in Rom) geführt. Am 19. werden noch ernannt: Er-
nährung: Dschelal Muchtar Bei, Justiz: Hairi Effendi, Oeffentliche
Arbeiten und interim. Handel: Zia Pascha, Unterricht: Universitätsprof.
Said Bei, Wakuf: Abdul Rahman Scheref Bei, Scheich-ül-Islam:
Omer Lufti Bei.
Der Rücktritt der jungtürk. Führer Talaat Pascha und Enver Pascha
ist eine Folge der veränderten politischen Lage und des deutschen Friedens-
schrittes, dem sich die Türkei angeschlossen hat. In dem neuen Kabinett
befindet sich keine führende Persönlichkeit aus dem Komitee „Einheit und
Fortschritt", obwohl einzelne Mitglieder früher eine Rolle im Komitee
spielten; das Kabinett trägt vielmehr, wie es der Lage entspricht, den
Charakter eines Geschäftsministeriums. Großwesir Jzzet Pascha (früh. türk.
Kriegsminister, zuletzt Delegierter bei den Friedensverhandlungen in Brest-
Litowsk) ist bisher politisch wenig hervorgetreten; er gilt als ausgesprochener
Deutschenfreund. Jedoch ist die Aufrechterhaltung des Bündnisses mit den
Mittelmächten der Türkei durch den Zusammenbruch Bulgariens und die
fortgesetzte Verschlimmerung der eigenen militärischen Lage zuletzt praktisch
unmöglich gemacht.
19. Okt. (Kammer.) Programm des neuen Kabinetts.
Großwesir Jzzet Pascha verliest eine Programmrede, die folgendes
ausführt: Die Regierung hat die Gewalt in dem kritischsten Augenblick
unserer Geschichte übernommen, da unser Land vor ungeheuren Schwierig-
keiten im Innern und vor äußeren Gefahren steht und sie ist sich des
Gewichtes der Aufgabe, die sie erwartet, sowie des Grades der Verant-
wortlichkeit bewußt, über die die Geschichte ihr Urteil abgeben wird. Der
Organismus des Vaterlandes, der während der letztvergangenen acht Jahre
durch allerlei Störungen innerer und äußerer Art Erschütterungen erlitten
hat, bedarf endlich der Ruhe. Namentlich die opfermutige Nation, die die
schmerzlichsten Entbehrungen auf sich nahm, denen sich während dieses schreck-
lichen, vier Jahre währenden Krieges kein Volk hätte leicht fügen können,
hat schließlich ein Bedürfnis auszuruhen. Unsere einzige Pflicht ist gegen-
wärtig, diesem Bedürfnis gerecht zu werden. Um die Pflicht zu erfüllen,
werden wir mit Hilfe des Allmächtigen alle unsere Anstrengungen, allen
unseren Eifer aufwenden. Wir haben uns entschlossen, die infolge der Kriegs-
notwendigkeiten von einem Orte zum anderen im Innern des Landes ab-
geschobenen Landsleute nach Maßgabe der Verhältnisse heimbefördern zu
lassen und haben mit der Durchführung dieses Entschlusses bereits begonnen.
Bewegliches und unbewegliches Vermögen dieser Kinder des Vaterlandes,
die seit ein oder zwei Jahren fürchterliche Leiden ertragen haben, wird
ihnen ersetzt und der Gegenwert für ihr Hab und Gut, das verkauft wurde,
ihnen zurückerstattet werden. Wir haben beschlossen, den durch militär-