Die äfterreithisch-nngaristhe Monarthie und die Rachfolgestaaten. (Jan. 22.) 5
22. Jan. (Osterr. Abg.«Haus.) Prager Entschließung, Aus-—
standsbewegung.
In Beantwortung von Interpellationen deutscher und tschech. Abg.
betr. die Prager Entschließung der Tschechen vom 6. Jan. (s. S. 1 f.),
deren Verbreitung durch die Tagespresse von der Regierung verboten worden
war, führt Ministerpräsident Dr. Ritter v. Seidler aus, daß sie mit den
dynastischen und patriotischen Grundbegriffen der Oesterreicher nicht in Ein-
klang zu bringen sei und das Selbstbestimmungsrecht unter Auflösung des
bisherigen Staatsverbandes anstrebe. Eine solche Auffassung werde von
jedem Oesterreicher mit Entrüstung zurückgewiesen und von jeder österr. Re-
gierung mit allen Mitteln bekämpft werden. (Lebh. Beif. I.) Dafür bürge
die feste Verankerung des Staatsgedankens in den breitesten Schichten einer
treu zu Kaiser und Reich stehenden Bevölkerung, dafür bürge — er stelle
dies mit ausdrücklicher Ermächtigung fest — der Wille des höchsten Faktors
im Staate, der die Regierungen ins Amt beruft. Eine in jenem Sinn ins
Werk gesetzte Politik könne höchstens den Erfolg haben, den kriegshetzerischen
Elementen im feindlichen Lager neue Agitationsmittel an die Hand zu geben,
die Bestrebungen der Regierung zur Erzielung eines baldigen Friedens,
insbesondere jetzt die Verhandlungen in Brest-Litowsk zu stören und auf
diese Weise allerdings nicht kriegsentscheidend, aber doch wenigstens kriegs-
verlängernd zu wirken. Die Regierung erstrebe einen ehrenvollen Frieden
im Geiste der Gerechtigkeit und Versöhnlichkeit, aber auch mit jener Einig-
keit und Festigkeit, die den Gegnern die Aussichtslosigkeit ihrer Vergewal-
tigungsabsichten vor Augen führen werde. Die Ausstandsbewegung habe
war keinen ausschreitenden Charakter an sich gehabt, aber doch bedenkliche
Pormen annehmen können. Die Regierung habe kein Bedenken getragen,
besonders auf dem Gebiete des Gemeindewahlrechtes, die seit langem er-
wogenen Reformen zuzusagen. Die Durchführung werde so geschehen, daß
der nationale Besitzstand gewahrt werde (Lärm bei den Tschechen) und die
berechtigten Ansprüche aller Volksteile im Rahmen des Möglichen ihre Be-
friedigung finden. Politische Meinungsverschiedenheiten müßten hinter dem
gemeinsamen Gedanken zurücktreten. Das Vaterland sei in Gefahr. Die
Regierung vermöge ihre schwierigen Aufgaben nur zu erfüllen, wenn sie
in einer starken Volksvertretung starken Rückhalt finde.
In der darauffolgenden Debatte über die Erklärung des Minister-
präsidenten geben die Abg. Pacher, Frhr. d’elvert und Dr. v. Ober-
leithner namens der Deutschen Böhmens, Mährens und Schlesiens Er-
klärungen ab, worin sie schärfstens die staatsrechtlichen Bestrebungen der
Tschechen bekämpfen und die Errichtung einer selbständigen Provinz „Deutsch-
böhmen“ mit eigenem Landtag auf Grundlage des allgemeinen, gleichen,
direkten Wahlrechtes und für Mähren die Einräumung des nationalen
Kuriatvetos hinsichtlich aller völkischen und kulturellen Angelegenheiten unter
völliger nationaler Trennung von den Tschechen fordern. Aehnliche Protest-
erklärungen geben Abg. Dr. Waldner namens des neugegründeten (s. u.) Ver-
bandes der deutschnationalen Parteien und Abg. Marckhl namens der
Alpenländ. Vereinigung ab. Abg. Dr. Viktor Adler (Dtsch. Soz.) erklärt,
die Soz. verlangten nichts anderes, als was Graf Czernin in seinen Reden
ausgesprochen habe. Sie verlangten nicht einen Bruch oder das Unmög-
liche, daß Deutschland sich plötzlich unter Führung Oesterreichs begebe.
Wenn man in Berlin sagt: für uns ist Triest wie Straßburg, dann dürfe
man sich nicht aufregen, wenn Czernin sagt: Mir ist Straßburg wie Triest.
Man könne nicht die Früchte des Bündnisses einseitig genießen. — Großen
Raum in der Debatte nimmt die Ausstandsbewegung ein. Die soz. Redner