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dessen Begierungsnachfolger übertragen werden sollte“ Obgleich abermals 29
Regierungen am 14. April 1849 dieser Uebertragung der deutschen Kaiserwürde
auf den König von Preussen ihre Zustimmung ertheilten, so erfolgte doch am
28. April die definitive Ablehnung der angetragenen Kaiserwürde von Seiten des
Königs von Preussen. Der Entwurf einer Reichsverfassung vom 26. Mai 1849
(s. g. Dreikönigsbündniss) kannte keinen Kaiser mehr, sondern nur einen Reichs-
vorstand. Mit der Wiederherstellung des Bundestages verschwanden alle höheren
nationalen Ziele von der officiellen Tagesordnung. Erst mit dem Jahre 1866
kam die deutsche Frage wieder in Fluss, nachdem der Hemmschuh der deutschen
Bundesverfassung für immer beseitigt war. Die damals zustande gekommene
bundesstaatliche Einigung umfasste aber nur Norddeutschland. Obgleich die
norddeutsche Bundesverfassung dem Könige von Preussen die umfassendsten
Befugnisse eines wahren Bundesoberhauptes beilegte, so fasste sie dieselben doch
in keinem einheitlichen Titel zusammen. Erst nachdem durch den glorreichen
Krieg mit Frankreich auch die süddeutschen Staaten dem Bunde beigetreten
waren, hielt man die Zeit für gekommen, auch das äussere Symbol der deutschen
Einheit, die Kaiserwürde, zu erneuern. Die erste Anregung zur Wiederher-
stellung der deutschen Kaiserwürde ging bekanntlich vom König von Bayern
aus, welcher den Vorschlag machte: „dass die Ausübung der Präsidialrechte des
Bundes mit Führung des Titels eines deutschen Kaisers verbunden werde.“
Es erfolgte die Zustimmung des norddeutschen Reichstages und sämmtlicher.
Einzelstaaten. Nachdem so alle Vorbedingungen zu einer legitimen Wieder-
herstellung der Kaiserwürde erfüllt waren, nahm Se. Maj. der König von Preus-
sen durch die denkwürdige Proklamation vom 18. Jan. 1871 im Prunksaale der
französischen Könige zu Versailles die deutsche Kaiserwürde für sich und seine
Rechtsnachfolger an (Urk. XXIVa). Dieselbe sagt: „Nachdem die dentschen Fürsten
und freien Städte den einmüthigen Ruf an Uns gerichtet haben, mit Herstellung des
deutschen Reiches, die seit mehr denn 60 Jahren ruhende deutsche
Kaiserwürde zu erneuern und nachdem in der Verfassung des deutschen
Bundes die entsprechenden Bestimmungen vorgesehen sind, bekunden Wir hier-
mit, dass Wir es als eine Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet
haben, diesem Rufe der verbündeten deutschen Fürsten und Städte Folge zu
leisten und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen.“ Mit voller Absicht wird
die Annahme des Kaisertitels nicht als die Annahme einer neugeschaffenen
Krone, sondern als die Wiederherstellung einer altehrwürdigen nationalen
Institution bezeichnet. Allerdings springen die Verschiedenheiten zwischen dem
alten und dem neuen Kaiserthum sogleich ins Auge. Letzteres hat einen rein
nationalen, keinen universalen Charakter; alle Ansprüche auf die s. g. Welt-
herrschaft, dominium mundi, Hegemonie über andere Völker liegen ihm ebenso
fern, als der Zusammenhang mit der römischen Kirche; es ist ein Erbkaiserthum
und kein Wahlkaiserthum. Die deutschen Fürsten haben mit der Wahl K. Wil-
helms I. ihr Wahlrecht ein für alle Mal ausgeübt. Dennoch hat die in der
Proklamation ausgesprochene Auffassung von der „Wiederherstellung‘“ der Kaiser-
würde ihre tiefe geschichtliche Bedeutung. Lässt sich auch staatsrechtlich