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die unmittelbare Kontinuität zwischen dem alten und neuen Kaiserthum nicht
durchführen und kann die Zeit vom 6. August 1806 bis zum 18. Jan. 1871
nicht einfach als cin Interregnum betrachtet werden, so ist doch geschicht-
lich der Zusammenhang zwischen dem Kaiserthum des Mittelalters und dem der
Gegenwart von entscheidender Bedeutung, ja die Aufrichtung des letzteren wäre
ohne jenen geschichtlichen Zusammenhang unmöglich gewesen. Trotz jener offi-
ciellen Beziehung als eines römischen Kaiserthums deutscher Nation war auch das
ältere Kaiserthum doch im Bewusstsein des Volkes doch immer mehr als ein natio-
nales aufgefasst worden. Das deutsche Königthum war gewissermaassen in einem
deutschen Kaiserthume aufgegangen, ja in der letzten Zeit hatte sich der Gebrauch
wie von selbst ergeben, dass sich der Kaiser officiell in diplomatischen Akten-
stücken bisweilen: „Empereur d’Allemagne‘“ nannte, (wie z. B. im Pressburger
Frieden vom 26. Dec. 1805). Trotz der tiefgreifenden staatsrechtlichen Ver-
schiedenheit zwischen dem älteren und dem neueren deutschen Reiche wird die
heutige deutsche Kaiserwürde als eine Fortsetzung jener älteren angesehen,
welche von Karl dem Grossen begründet ist, wie dies auch die Krone Karls des
Grossen im Wappen symbolisch andeuten soll. Die deutsche Kaiserkrone
ist somit die älteste in Europa, was auch auf die Rangverhältnisse nicht
ohne Einfluss ist. Es ist nicht ganz ohne Bedeutung, auch äusserlich den Zu-
sammenhang in der Regentenreihe der alten und neuen Kaiser durch die ent-
sprechende officielle Bezifferung der Kaisernamen darzuthun. Ob für die Zu-
kunft wieder eine Kaiserkrönung beliebt werden wird, ob dieselbe die preussische
Königskrönung ersetzen oder neben derselben hergehen wird, steht zu erwarten.
Jedenfalls verfügt die Reichsverfassung darüber nichts, stellt aber auch kein
Hinderniss entgegen, sodass die Anwendung oder das Unterlassen einer solchen
Ceremonie lediglich dem Ermessen des künftigen Kaisers anheimgestellt ist.
Auch von der Ableistung eines Regierungseides weiss die Verfassung nichts.
Art. 11 der Reichsverfassung bestimmt: „Das Präsidium des Bundes steht dem
Könige von Preussen zu, welcher den Titel Deutscher Kaiser führt“. Da-
mit ist die heutige deutsche Kaiserwürde für untrennbar von der
preussischen Königswürde erklärt. Darum enthält die Reichsverfassung
trotz der anerkannten Erblichkeit der Kaiserwürde keinen einzigen Satz über
die Thronfolge des Kaisers; sie muss folgerichtig die Bestimmungen hierüber
der preussischen Verfassung überlassen. Die Bestimmungen der preussischen
Verfassung über die Thronfolge sind damit keineswegs Artikel der Reichsver-
fassung geworden, sie sind vielmehr lediglich preussisches Landesstaatsrecht
geblieben. Daraus folgt, dass der König von Preussen durch ein verfassungs-
änderndes preussisches Landesgesetz die Thronfolge ohne jedes Zuthun der
Reichsgewalt ändern kann. Dabei haben nur die beiden Häuser des preussischen
Landtages, nicht die Faktoren der Reichsgesetzgebung ein entscheidendes Wort
mitzureden. Der dann durch das so veränderte preussische Verfassungsgesetz
auf den Thron berufene Prinz würde mit Anfall der preussischen Krone auch
von Rechtswegen deutscher Kaiser werden. Ganz dasselbe gilt auch von der
Regentschaft, über welche die Reichsverfassung ebenfalls nichts verfügt.