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ausschliessen, weil dieselbe reformirt geworden sei, „da doch nach dem Testa-
mente die Privation der Erbschaft auf die Religionsänderung gesetzt sei“, wenig-
stens verlangten sie, da ihrer drei wären, nach Köpfen und nicht nach Linien
mit Kassel zu theilen. Nach 18jährigem Streit gelang es Ludwig V. im Jahre
1623, ein kaiserliches Erkenntniss zu erlangen, durch welches ihm die ganze mar-
burgische Erbschaft und selbst Theile der alten kasselschen Lande zugesprochen
wurden. Im Jahre 1626 wurde der Landgraf von Kassel sogar noch verurtheilt,
der darmstädtischen Linie über eine Million Goldes zu zahlen, als Entschädigung
für die aus dem marburgischen Theil gezogenen Früchte !).
Gegen diesen völlig parteiischen Urtheilsspruch protestirte Kassel auf das
Lebhafteste, anfangs zwar vergeblich, aber unter veränderten Zeitverhältnissen
musste der Sohn Ludwigs V., Georg II. von Darmstadt, endlich der kasselschen
Linie bedeutende Zugeständnisse machen. Der s.g. Hauptaccord vom 24.Sep-
tember 1627?) nöthigte ihn, auf die, durch das kaiserliche Erkenntniss vom
Jahre 1623, seinem Vater pfandweise zuerkannten Acmter der alten kasselschen
Lande, sowie auf seine Ansprüche wegen der Festung Ziegenhain Verzicht zu
leisten, wogegen Oberhessen, die niedere Grafschaft Katzenellenbogen, Schmal-
kalden und der ehemals hessen-kasselsche Antheil von Stadt und Amt Umstadt
der darmstädtischen Linie gelassen wurde ($. 7, 8.8—9 und die 88. 11, 16, 20
und 22 des Hauptaccords), so dass diese doch im alleinigen Besitz der marbur-
gischen Erbschaft blieb. Dieser Darmstadt so günstige Hauptaccord hatte in-
dessen keinen langen Bestand.
Mit dem wiederkehrenden Glück der protestantischen Waffen nahm die da-
malige Regentin von Niederhessen, Amalia Elisabeth, geb. Gräfin von
Hanau-Münzenberg, Wittwe des Landgrafen Wilhelms V., Mutter und Vor-
münderin des damals noch minderjährigen Landgrafen Wilhelms VI. zu Kassel,
alle jene Lande aufs Neue in Anspruch, welche durch den Hauptaccord von 1627
an Darmstadt überlassen worden waren. Für die künftige Erwerbung der Graf-
schaft Hanau-Münzenberg benutzte sie die Vortheile, welche die Kriegszeit
darbot, durch einen Erbvertrag mit der Hanau-Lichtenbergischen
Linie, welche der hessen-kasselschen Linie später zum Besitze der unzertrennten
Erbschaft des münzenbergischen Stammes verhalf. Andere Verträge sicherten die
Lehenherrlichkeit über Waldeck. Was ihr auf gütlichem Wege nicht gelang, suchte
sie mit Waffengewalt zu erzwingen; so eroberte sie im Jahre 1646 Marburg nebst
einem weitern Theile von Oberhessen und der niedern Grafschaft Katzenellenbogen.
Darmstadt sah sich hierdurch genöthigt, in dem wichtigen, die marburgische Succes-
sion betreffenden Vertrage vom 14. April 1648, dem s.g. Fried- und Einigkeits-
recess, der selbst im westfälischen Friedensinstrument reichsgrundgesetzlich be-
stätigt wurde (Instr. Pac. Osn. Art. XV 8. 15), nicht nur die niedere Grafschaft
Katzenellenbogen sammt Schmalkalden und dem ehemaligen kasselschen Antheil
von Stadt und Amt Umstadt, sondern ausserdem auch noch ein Viertel von Ober-
hessen mit Marburg oder die Hälfte des s. g. marburgischen Antheils
1) Estor, jus publ. p. 46.
2) Abgodrackt bei Beck 1. Bach 9. 167—178.
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