385
S. Maj. der Kaiser von Russland, als Chef der älteren Linie, auf seine jedenfalls
immer noch näheren Ansprüche am 19. Juni 1864 zu Gunsten der jüngeren Linie
verzichtet hatte. Die Herzogthümer Schleswig-Holstein waren aber durch den
Wiener Frieden vom 30. Okt. 1864 in den Besitz von Oesterreich und Preussen,
durch den Prager Frieden vom 23. August 1866 in den Alleinbesitz der Krone
Preussen übergegangen. Trotz dieses unbestreitbaren völkerrechtlichen Erwerbs-
titels war es von Werth für die Krone Preussen, allen zukünftigen Verwickelungen
vorzubeugen und wünschenswerth, den Grossherzog von Oldenburg zu einem Ver-
zichte auf seine eigenen wie auf die ihm übertragenen Ansprüche der. älteren
Gottorper Linie zu bewegen. Da dieser patriotische Fürst die deutsche Politik
Preussens von jeher treu unterstützt hatte, so war zu erwarten, dass er sich
Jetzt auch zu einer solchen Verzichtleistung bereit erklären würde. Billiger Weise
konnte dies aber nur gegen ein Aequivalent geschehen. Dies bestand in dem
holsteinschen Amte Ahrensböck, den s. g. Lübischen Distrikten, der Staats-
hoheit über den Dieksee mit Einschluss der auf demselben haftenden Domanial-
gerechtsamen, der Baarzahlung einer Million Thaler und einigen anderen geld-
lichen Vortheilen. (Urkunde Nr. X.)
Im Art. 29 des revidirten Staatsgrundgesetzes vom 22. Nov. 1852 heisst es
im $.1: „Im Uebrigen werden die Verhältnisse des grossherzog-
lichen Hauses vom Grossherzoge hausgesetzlich bestimmt.“
Auch diese Verheissung hat der jetzt regierende Grossherzog durch das
umfangreiche Hausgesetz vom 1. Sept. 1872 erfüllt. Nach heutigem Staats-
rechte bedürfen alle Bestimmungen der Hausgesetze, welche in das Gebiet der
eigentlichen Gesetzgebung hereingreifen, unzweifelhaft der Zustimmung der Volks-
vertretung. Wenn sie Verfassungssätze abändern, können sie selbstverständlich
nur in der Form verfassungsändernder Gesetze erlassen werden. Hausgesetzliche
Bestimmungen dagegegen, welche nur die inneren Verhältnisse der fürstlichen
Familien betreffen und nicht in die allgemeine Staats- und Rechtsordnung über-
greifen, können auch h. z. T. noch allein von der Autonomie der hochadeligen
Familie ausgehen, welche sich selbst in ilıren inneren Angelegenheiten Recht zu
setzen berufen ist. Da im Staatsgrundgesetze des Grossherzogthums bereits alle
eigentlich öffentlich-rechtlichen Bestandtheile des Fürstenrechts, als Thronfolge,
Regentschaft, Auseinandersetzung zwischen Staats- und Hausvermögen, vollstän-
dig geregelt waren, so konnte sich das neue Hausgesetz lediglich auf solche
Punkte beschränken, weiche innerhalb der Autonomie der Familie la-
gen. Der Grossherzog tritt in diesem Hausgesetze nicht als staatlicher Gesetz-
geber, sondern als Oberhaupt der Familiengenossenschaft auf, welches mit Zu-
stimmung aller successionsberechtigten volljährigen Agnaten des grossherzoglichen
Hauses autonomisch Recht setzt. Daher erfolgte die Verkündigung dieses Haus-
gesetzes nicht auf dem gewöhnlichen Wege der Gesetzespublikation, sondern
lediglich „durch Mittheilung desselben an sämmtliche volljährige Mitglieder des
grossherzoglichen Hauses durch den Grossherzog“. Durch diesen rein autonomi-
schen Charakter unterscheidet sich dieses neueste Hausgesetz von den übrigen
Hausgesetzen der konstitutionellen Staaten, z. B. dem bayerischen. hannöverischen,
IL 25