Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 19. 20. 21. 83 
Artikel 19. 
Die Einführung der Civilehe erfolgt nach Maßgabe eines beson- 
deren Gesetzes, was auch die Führung der Civilstandsregister regelt. 
Das hier verheißene Gesetz ist das Gesetz über die Beurkundung des Personen- 
standes und die Form der Eheschließung vom 9. März 1874 (Ges.-Samml. S. 95). An 
die Stelle dieses Gesetzes ist sodann das für das ganze Reich geltende Gesetz über die 
Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 (Reichs- 
Gesetzbl. S. 23) getreten. In § 85 des letzteren Gesetzes wird das s. Z. für den Nord- 
deutschen Bund erlassene, jetzt ebenfalls für das ganze Reich gültige Gesetz, betreffend 
die Eheschließung und die Beurkundung des Persolnenstandes von Reichsangehörigen im 
Auslande, vom 4. Mai 1870 (Bundes--Gesetzbl. d. Nordd. Bundes S. 599) aufrecht erhalten. 
Artikel 20. 
Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. 
Art. 20 spricht nicht bloß eine allgemeine Wahrheit aus; diese würde der ver- 
fassungsmäßigen Gewähr nicht bedürfen und in ein Gesetz nicht gehören. Er spricht auch 
einen Grundsatz aus, nämlich den, daß die Wissenschaft und ihre Ausübung fortan keine 
anderen Schranken kennen sollen, als ihre eigene Wahrheit und, insofern sie dieselbe ver- 
kennen und überschreiten, die Heiligkeit des Strafgesetzes. Koch drückt dies in seinem 
Kommentar zum A. L. R. II 13 Anmerk. Ba in folgender Weise aus: 
Die Wissenschaft und ihre Lehre soll weder von dem Staate, noch von der 
Kirche beeinflußt werden, es sollen weder von der einen, noch von der anderen 
Autorität bestimmte Lehrsätze oder Lehrbücher vorgeschrieben noch verboten werden 
können; der von Stahl ausgesprochene Satz: „die Wissenschaft muß umkehren“, 
d. h. sie muß sich wieder unter die Leitung und Censur des Staates bezw. der Kirche 
stellen, ist verdammt; es soll kein Gelehrter wegen von ihm aufgestellter Lehrsätze 
jemals wieder verketzert und zum Widerruf genöthigt werden dürfen. 
Auf der anderen Seite bleibt, wie der oben formulirte Grundsatz es ausspricht, 
der Mißbrauch der Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre den gesetzlich statthaften 
Repressivmaßregeln und Strafen unterworfen. 
Artikel 21. 
Für die Bildung der Jugend soll durch öffentliche Schulen ge- 
nügend gesorgt werden. 
Eltern und deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder Pflege- 
befohlenen nicht ohne den Unterricht lassen, welcher für die öffent- 
lichen Volksschulen vorgeschrieben ist. 
A. Nach Art. 26 soll ein besonderes Gesetz das ganze Unterrichtswesen regeln, und nach 
Art. 112 bewendet es bis zum Erlaß des im Art. 26 vorgesehenen Gesetzes hinsichtlich 
des Schul= und Unterrichtswesens bei den bisher geltenden gesetzlichen Bestimmungen. 
Nun ist das Gesetz bis heute nicht erlassen. Welche Geltung kommt hiernach den das 
Schul= und Unterrichtswesen behandelnden Art. 21 bis 25 zu? 
v. Rönne Rd. 2 § 167 IV. S. 451 erklärt sich hierüber in folgender Weise: 
Dadurch sind also die Bestimmungen der Verfassungsurkunde über 
das Schul= und Unterrichtswesen vorläufig für suspendirt erklärt, und da bis jetzt das 
im Art. 26 verheißene Gesetz noch nicht ergangen ist, so besteht diese Suspension 
auch jetzt noch fort, so daß also in Betreff der in den Art. 21—25 der Verfassungs- 
urkunde behandelten Gegenstände nicht die Bestimmungen dieser Artikel, sondern die 
bezüglichen Vorschriften der betreffenden vor Emanation der Verfassungsurkunde 
erlasfenen Gesetze zur Anwendung kommen. Die aus dem Art. 112 der Ver- 
fassungsurkunde folgende Suspension der Bestimmungen der Art. 20—25 derselben 
ist jedoch keine ganz unbedingte. Das im Art. 26 verheißene Gesetz, welches das 
6*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.